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Das (wundervolle) Leben der Anderen. (Eine fast perfekte Kolumne.)

Morgens um 7 beim ersten Kaffee: Instagram-Freundin @curvypia nippt im perfekten Out-of-bed-Look zwischen kunstvoll zerknautschten Kissen an einer Tasse Kusmi-Tee. Eve aka @yogaluv zelebriert den Sonnengruß im kalifornischen Sonnenuntergang, den Blick konzentriert zum Meer gewandt. @kochmariechen verspeist mit dem Liebsten Franzbrötchen zum Frühstück. Auf dem Balkon und DIY, versteht sich – so #yummy #nomnom! Hungrig scrolle ich weiter – und da sind sie auch schon: die perfekt gestylten Muttis mit ihren perfekt gestylten Kindern in ihren perfekt gestylten Wohnungen. Luftiger Altbau, weiße Türen, sorgsam dosiertes Spielzeug auf polierten Dielen: #love.

Hach, das Leben kann so schön, so dekorativ, so puderzuckrig rosa sein! Zumindest auf Instagram.

Eine Kolumne über das wundervolle Leben der Anderen. Auf instagram. Meine neue Kolumne. Natürlich mit Sierra-Filter geinstagramt. ;-)

Dann klingelt das Telefon, ich blicke hoch und alles ist wie immer: anders. Statt vor selbst gebackenen Franzbrötchen sitze ich vor dreckigem Geschirr und Brotkrümeln, statt üppiger weißer Tulpen welkt ein vergessener Weihnachtsstern auf dem Fensterbrett vor sich hin. Sonnengruß? Moment ... Ach nein, dazu fehlen mir Zeit und Lust. Und der adäquate Sonnenaufgang. Wo sind eigentlich die Weichzeichner und der rosige Sierra-Filter fürs reale Leben, wenn man sie mal wirklich braucht?!

Auf Instagram – ich bin @textelle, falls Sie mich suchen – gibt’s natürlich auch mein Leben in der Zuckerguss-Variante: hier der fluffig geschäumte Cappuccino (mit Kakaoherzchen und Lavendel-Macaron!), dort der flackernde Kamin neben adrett gestapeltem Holz. Unarrangiert arrangierte Biergarten-Besuche („Nur noch ein letztes Foto! Dann können wir essen!“). Das ganz spontane #selfie – nach 25 Anläufen. Und natürlich Sonnenuntergänge. Viele Sonnenuntergänge. Orange-rosa-pinkfarbene, Photoshop-gefilterte Sonnenuntergänge.

Ach, was kann mein Leben schön sein! Zumindest auf Instagram.

(Die Kolumne erschien heute in der Print- und in der Online-Ausgabe der WELT KOMPAKT.)

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8 Kommentare

Clia
am Freitag, 20. Februar 2015 um 13:00 Uhr

mhm. so ein Lavendel Macaron tät´ mir jetzt auch auf der Zunge zergehen. (und auf dem Herd stehen grad Kartoffeln und Wirsing ;-))

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Karin
am Freitag, 20. Februar 2015 um 14:10 Uhr

Ach, wie wunderbar geschrieben!
Ich rufe mir auch immer ins Gedächtnis, dass auch die anderen Wäscheberge u.ä. haben (müssen).
Aber auch ich führe den Besuch ja nicht als erstes ins chaotische Obergeschoss, sondern präsentiere das kurz vorher schnell aufgeräumte Wohnzimmer (mit jahreszeitlicher Blumendeko und saisonal passenden Kissen SELBSTVERSTÄNDLICH!).
Es ist wie immer im Leben-lass uns den Blick für die Realität nicht verlieren und sie mit viel Humor nehmen wie sie ist.
Herzliche Grüße!!

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Ute {benbino}
am Sonntag, 22. Februar 2015 um 10:47 Uhr

Herrlich geschrieben! Auch ich würde heute Morgen wach gerüttelt, als ich von meinem Instagram Bildschirm ins real life blickte. Danke für die Bestätigung, dass bei uns zu Hause noch alles ganz normal ist.

Herzliche Grüße und noch einen schönen Sonntag,
Ute

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Sabine
am Sonntag, 22. Februar 2015 um 15:50 Uhr

Aber wenn das Selfie gelingt, und das schön fotografierte Essen vom besonderen Teller gegabelt wird und die Wohnung aufgeräumt und fotogen ist, haben wir doch das Gefühl Teil dieser perfekten Welt zu sein. Bzw. sie uns schaffen zu können, wenn wir den gerade Lust dazu haben.
Lieben Gruß
Sabine

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Susi
am Sonntag, 22. Februar 2015 um 15:54 Uhr
Zweifellos! :-) Ich mag diese Fotos ja auch - man muss sie nur einordnen können und nicht für die absolute Realität halten. :-)

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Nina von 30rockt!!!
am Montag, 23. Februar 2015 um 11:58 Uhr

You made my day!
Einfach nur genial, dein Text! Du bringst es auf den Punkt und zauberst mir ein Lächeln aufs Gesicht, weil es so viele Unperfekte Menschen gibt und es leider nur die wenigsten zugeben. Dabei ist gerade das sehr sympathisch :-)

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Dagmar Altena
am Montag, 23. Februar 2015 um 20:36 Uhr

Living in a perfect world?

Ja, das kann sehr anstrengend sein, wenn man sich dessen verpflichtet fühlt und zum Perfektionismus neigt…Lach!
Mir fällt ein Sprichwort dazu ein: ” Mehr Schein als Sein.”
Guter Beitrag!

LG Dagmar

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Claire
am Samstag, 14. März 2015 um 10:56 Uhr

Wunderbar! Herrlich geschrieben, so witzig! Und so treffend!
Liebe Grüße,
Claire

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