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Was wirklich wichtig ist.

Bio-Gemüse vom eigenen Acker? Geht! Regina Kainz spricht mit mir über solidarische Landwirtschaft.

Regina Kainz aus Salzburg kenne ich schon seit … seit … ach, ewig! Zwischendrin hatten wir uns ein bisschen aus den Augen verloren, dann wiedergefunden und zusammen gearbeitet. Regina versteht nämlich nicht nur etwas von solidarischer Landwirtschaft, sondern auch vom Internet.

Richtig aufgehorcht habe ich, als sie mir vor einigen Jahren von einer landwirtschaftlichen Initiative erzählte, der sie sich mitsamt ihrer Familie angeschlossen hatte – um Gemüse anzubauen, sich selbst zu versorgen und gleichzeitig auch Natur und Umwelt etwas zurückgegeben. So etwas beeindruckt mich immer sehr, denn ich bewundere Menschen, die nicht reden, sondern handeln. Und umsetzen, was wirklich wichtig ist – für uns, für die Welt, für nachfolgende Generationen. Genau deshalb gibt es einmal im Monat einen Beitrag zu einem wichtigen Thema. Weil das Leben von Texterella mehr ist als Mode, Beauty und Reisen.

Deine Familie und du sind Mitglieder eines Vereins für kooperative Landwirtschaft: Wie kam es dazu und was sind eure persönlichen Beweggründe?

Wir sind seit Sommer 2015 Mitglied bei Erdling – „wir“, das sind eigentlich mein Sohn Paul (mittlerweile 6) und ich. Warum wir „Erdlinge" geworden sind, dafür gibt es viele Gründe. Einer aber ist, dass ich eine Freizeitbeschäftigung gesucht habe, die mir und Paul – damals 2,5 – gleichermaßen Spaß machen sollte. Und es sollte irgendetwas sein, wo wir draußen sind.

Die Salzburgerin Regina Kainz im Gespräch mit Texterella über solidarische Landwirtschaft

Bei unserem ersten Besuch bei Erdling wollte Paul gar nicht mehr heim. Spinatpflanzen setzen, mulchen, Beikraut jäten, dazwischen im Schatten Obst essen, ein nettes Miteinander von Menschen, dazwischen auch immer wieder andere Kinder ... Ich selbst hatte auch vorher schon gerne gegartelt und unsere Balkone mit den unterschiedlichsten Tomatensorten bepflanzt. Ich war spätestens dann vom Erdling-Konzept überzeugt, als ich gesehen habe, wie viele, zum Teil riesige, Kürbisse am „Aigner Acker“ wachsen, der nicht gegossen wurde. Wer nur ein paar Kräuter oder Tomatenpflanzerl am Balkon hat, weiß, wie viel Wasser die schon in einem „normalen“ Hochsommer brauchen – und der Sommer 2015 war ein sehr heißer Sommer. Dass Gemüseanbau ohne Trinkwasserverbrauch funktioniert, fand ich also spitze. Auch der demokratische Prozess der Entscheidungsfindung hat mich von Beginn an fasziniert. Anfangs lief das noch streng konsensorientiert, keine Entscheidung wurde gegen das Veto eines Mitglieds durchgezogen. Mittlerweile haben wir eine Mischform mit mehr Diskussionen in Kleingruppen im Vorfeld.

Was ist das Ziel dieser Initiative?

Das Ziel der Initiative Erdlinge war von Beginn an, dass KonsumentInnen auch zu ProduzentInnen werden, also nicht einfach nur Gemüse holen, sondern auch die Prozesse kennenlernen und wissen, wie viel Aufwand es bedeutet, bis aus einem Samenkorn eine ganze Pastinake wird. Auch Gemüse-Selbstversorgung ist ein großes Ziel – aber für 2019 haben wir das nicht in den Vordergrund gestellt, sondern das Lernen und den Spaß. Der Verein ist das, was die Mitglieder einbringen, somit gehören auch Veränderungen dazu.

Ihr seid eine vierköpfige Familie. Könnt ihr tatsächlich selbst versorgen? 

Den Selbstversorgungsgedanken finde ich spannend, allerdings ist er mir nicht das Wichtigste. Zum Beispiel gab es letztes Jahr für jedes Mitglied 24 kleine Kürbisse zum Selbsteinlagern, überwiegend Hokkaido, ein paar Butternut, einige andere Sorten, die wir dann entsprechend aufgeschnitten haben. Damit kommt man gut über den Winter. Ein paar habe ich mit Chilis zu einem scharfen Chutney eingekocht, die meisten „meiner“ Kürbisse habe ich verschenkt. Ein Großteil ging an die Kinder der Kindergartengruppe meines Sohnes, die uns im Herbst am Acker besucht haben, bei der „Rohna“-Ernte (= rote Beete) halfen und begeistert mit ihrer Ernte von dannen zogen – angeblich haben sie daheim auch alle von den Kürbissen, Mangold und roten Rüben probiert. Von anderen Erdlingen weiß ich, dass sie mit kluger Vorratshaltung – Einkochen, Einfrieren, Dehydrieren – tatsächlich die Vollversorgung geschafft haben. Als Familie haben wir vor allem letztes Jahr mit dem Einkochen begonnen und eigene Marmeladen, Essiggurken und vielerlei Chutneys gehabt. 

Was mir persönlich tatsächlich viel wichtiger ist als die akribische Gemüse-Selbstversorgung, ist der Weg: der Versuch mit vielen Leuten auf kooperativer Ebene ressourcenschonend zu wirtschaften. Das beginnt dabei, dass wir auf den Boden achten, dass wir so anbauen, dass wir Humus aufbauen. Das hört sich trivial an und ist auch nichts Hochmodernes oder Neuartiges. Nur, wenn man sich Daten anschaut und dann sieht man, dass Regenwurmpopulationen weniger werden, dass europaweit seit Jahrzehnten Humus abgebaut wird, dass die herkömmliche Landwirdschaft ausgelaugte Boden zurücklässt ... Gerade bei diesen Böden geht es aber nicht nur um fehlende Fruchtbarkeit, fehlende Bodenlebewesen, um das fehlende Binden von CO2. Es geht auch darum, dass diese ausgelaugten, durch schwere Landmaschinen verdichteten Böden schwere Regengüsse kaum aufnehmen können und so indirekt zum Hochwasser beitragen. Wenn man sich mit den Gesamtzusammenhängen beschäftigt, dann bekommt Bio-Anbau schon eine andere Nuance.

Wie viel Zeit steckt ihr in das Projekt? 

Für 2019 haben wir berechnet, dass wir gut zurechtkommen, wenn jedes Mitglied 50 Stunden pro Jahr am Acker mitarbeitet. Das ist ein Aufwand, mit dem man nicht mal einen Balkongarten gut bestellen kann. Gemeinschaftlich können wir somit mehr erwirtschaften als allein, und das mit weniger Aufwand. Der nächste, wunderbare Vorteil: Wir lernen von einander und motivieren uns, Neues auszuprobieren. In der Gruppe hat man zum Beispiel schnell eine Beschattung für einen Pilzgarten erstellt. Wenn wir spezielles Know-how noch nicht haben und Einlesen nicht reicht, holen wir dieses Wissen dazu. So hatte letztes Jahr ein Mitglied den Vorschlag gemacht, einen Lehmbackofen zu bauen, wir haben alle dafür gestimmt. Ein Workshop wurde organisiert und so haben jetzt wir am Acker einen Lehmbackofen.

Tatsächlich verbringe ich mehr Zeit am Acker als „vorgeschrieben“ – einfach, weil es Spaß macht. Ich mag das Arbeiten und die Gemeinschaft, mein Sohn liebt dazu noch die Werkzeuge und ab dem Sommer futtert er sich einmal quer über den Acker: Erbsen, Gurken, Tomaten, junge Zucchini sind roh sehr lecker und irgendetwas Beeriges ist immer gerade reif: Ribisel (rote Johannisbeere), Erdbeere, Himbeere, Stachelbeer, Physalis. Waren am Anfang vor allem Sohn und ich am Acker, sind jetzt auch immer häufiger Tochter und sogar ihr Freund mit dabei.

Im heißen Sommer 2018 haben wir ab Juli einmal wöchentliche Feierabend-Termine eingeführt. Wir haben uns unter der Woche nach der Erwerbsarbeit getroffen, 1,5 bis 2 Stunden gejätet, dann gegrillt und die gejätete Beikräuter wie Franzosenkraut, Melde, jungen Löwenzahn und Spitzwegerich dazu als Wildsalat zubereitet. Was ich an unserem Verein auch sehr schätze, ist, dass nicht nur unser angebautes Gemüse vielfältig ist, sondern auch die Mitglieder. Alter und Ausbildung sind bunt gemischt. Das ergibt immer wieder spannende Gespräche bei der Feldarbeit und beim Feiern.

Bleibt da noch Zeit für andere Hobbys? 

Auf jeden Fall! Ich reise gerne mit der Familie, auch länger am Stück, in der Zeit übernimmt eine Freundin oder meine Tochter die Ernte und teils auch Pflege und Säen. Letztes Jahr habe ich eine Reisewebsite für Apulien gestartet und da fließen nicht nur unsere Reiseerlebnisse ein, sondern auch ein wenig Häkeln, Nähen und wer weiß, welche Basteleien da noch kommen.

Wie sieht es mit der langfristigen Motivation aus?

Es ist wirklich nicht schwer motiviert zu sein oder zu bleiben, zum einen, weil wir ja ernten, und zum anderen, weil wir die Veränderung an Vielfalt und Fruchtbarkeit vom Boden und Acker miterleben. Das ist unglaublich spannend! Eine zusätzliche Motivation aber sind der Spielraum, der Gestaltungsbereich, die Begeisterung für Neues. So gab es letztes Jahr im August eine Lesung am Acker – das war toll für uns und außerdem kamen Menschen, die mit Gemüseanbau wenig anfangen können, aber dann doch da und dort nachgefragt haben. Auch die Nachbarn aus der Gegend – unser Acker ist in einer sehr hübschen Villengegend gelegen – trauen sich immer häufiger, uns zu besuchen. Nur noch manchmal werden wir gefragt, ob wir irgendeine Sekte oder Kommune seien ...

Bei Umweltschutz-Initiativen steckt in Fragen von außen häufig das Thema Verzicht mit drinnen. Mir ist klar, dass Gemüse selbst anbauen nicht für jeden Menschen das perfekte Hobby ist – für uns aber ist es Lebensqualität und noch dazu eine, die über uns hinaus wirkt. Neben der Förderung von Artenvielfalt am Acker und den Vorteilen des lokalen Anbaus gehen Ernteüberschüsse im Sommer auch an Hilfsorganisationen und Fairteiler.

Wo siehst du eure Kooperative in zehn Jahren? Liegt diese Art der Selbstversorgung im Trend?

Ja, das liegt sicher im Trend, zumal es eine Möglichkeit ist, sich ohne eigenen Garten und ohne Vorwissen selbst mit Gemüse zu versorgen. Neben unserer Sonderform einer Solawi („solidarische Landwirtschaft“) – uns gehört kein Land und wir machen alles selber – gibt es auch die klassischen Solawis, die meist an eine bestehende Hofstelle angebunden sind. Die Idee einer Solawi ist es, einen landwirtschaftlichen Betrieb durch genug AbonnentInnen im Vorhinein zu finanzieren, also den Bauernhof oder die Gärtnerei unabhängig von Wetter und Preisschwankungen zu machen. In der anderen Richtung des Selbstanbaus gibt es Gemeinschaftsgärten oder auch reine Ernteparzellen, in denen Anbau und teils Pflege von GärtnerInnen übernommen wird. Auch spannend: die vielen neuen kleineren Bio-Anbau-Strukturen, oft als Market-Garden bezeichnet.

Kurz: Es gibt viele interessante Entwicklungen im Bereich Bio-Gemüseanbau und das finde ich toll, weil Mischkulturen im Gegensatz zu Monokulturen für Artenvielfalt sorgen können, bei Insekten, bei Vögeln und anderen Lebewesen –  anstelle von Weizenfeldern bis zum Horizont ohne eine einzige Kornblume.

Wo wir in zehn Jahren stehen, kann ich heute nicht abschätzen. Die Zeit seit der Gründung spiegelt verschiedene Wellen und Etappen der Vereinsgeschichte wider und auch in den nächsten Jahren wird jedes Mitglied den Verein mitprägen und mitentwickeln. Schön wäre natürlich, wenn wir einen Erdkeller errichten könnten, um unser Wintergemüse besser zu lagen, diese bauliche Maßnahme ist am jetzigen Acker nicht möglich. Workshops zu geben wäre auch interessant, das machen wir momentan nur unter uns Mitgliedern und auf Einladung. So kennt sich das eine Mitglied  sehr gut beim Pflanzenanbau und Pikieren aus, ein anderes beim Kompost, ich habe mich in das Thema Speisepilzzucht eingearbeitet, wieder ein anderer hat Fortbildungen zur Permakultur gemacht und so haben wir jede Menge Talente und Erfahrungswissen.

Was würdest du Menschen raten, die nun neugierig geworden sind und sich ebenfalls einer solchen landwirtschaftlichen Kooperative anschließen wollen? 

Die ersten Schritte zum eigenen gemeinschaftlichen Biogemüse: Schauen, welche Angebote es in der Nähe gibt und dann einfach anfragen. Als nächstes sollte man die Initiative besuchen, kennenlernen und schauen, ob das Angebot zu einem passt. Beim Gemüseanbau würde ich Bio-Anbau empfehlen, weil das die nachhaltigste Form ist, wobei für mich das „Wie“ wichtiger wäre als eine Zertifizierung. Unser Verein zum Beispiel hat kein Bio-Zertifikat, dagegen haben wir uns mehrheitlich entschieden, dennoch haben wir ganz klare Bio-Anbau Richtlinien für uns festgelegt.,

Wenn es keine passende Initiative in der Umgebung gibt, kann man auch selbst einen Verein gründen. Erdling ist vor fünf Jahren entstanden, weil sich fünf Leute zusammengesetzt haben, die Idee entwickelt haben und einen passenden Acker gesucht haben.

Zum Schluss noch dies: Den Spruch „Das Leben beginnt außerhalb der eigenen Komfortzone" kann man auch gut auf Umweltinitiativen anwenden. Deshalb ein Plädoyer an alle SkeptikerInnen: Einfach mal ausprobieren, was es da draußen gibt und vielleicht entdeckt man dabei, dass eine Solawi, ein Gemeinschaftsgarten, Biotop-Pflege, Foodcop, Müllsammelaktionen, etc. genau der Ausgleichssport zur Büroarbeit ist, den man sich gewünscht hat. Vielleicht auch nicht, dann hat man auf alle Fälle was Neues ausprobiert und vielleicht sogar neue Menschen kennengelernt.

Liebe Regina, ich danke dir für dieses spannende Gespräch! Ich glaube, ich muss doch mal anfangen mit dem Gemüse anpflanzen. Platz genug hätte ich in unserem Garten! Danke für die Inspiration und den Impuls.

Wer neugierig geworden ist, kann hier noch mehr Informationen finden: www.solidarische-landwirtschaft.org.

Fotos: Regina Kainz & Eluisa Kainz.

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3641 0 Was wirklich wichtig ist., 50+ Lifestyle 26.03.2019   bio, texterella im gespräch, umwelt, was wirklich wichtig ist

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