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Slow Fashion: Entschleunigung in Blau-Violett.
Meine Großmutter war Schneiderin. Gelernt hat sie ihren Beruf in den 1920er-Jahren in der früherenTschechoslowakei, nach dem Krieg und ihrer Flucht brachte sie meine Mutter (mein Großvater war in Kriegsgefangenschaft) mit Nähen durch. Sie schneiderte für Bauern, musste zwischendrin auch mal Holzhacken, schlief im Heustadel ... bis mein Opa irgendwann aus der Gefangenschaft kam, und sie im Odenwald eine neue Heimat fanden.
Geerbt habe ich von meiner Oma nicht nur mein Interesse an guter und schöner Kleidung, sondern auch ihre Nähmaschine. Natürlich keine elektrische, sondern ein Standgerät aus Holz mit Pedalen zum Treten! Mit ihr startete ich mit Anfang 20 meine ersten Nähversuche und verbrachte sehr viel Zeit mit mehr oder weniger gewagten Schnitten. Nicht immer sahen die Ergebnisse so aus, wie ich sie mir eigentlich vorgestellt hatte. Von Schnittentwicklung hatte ich ja keine Ahnung, und Burda-Moden-Schnittmuster waren mir zu altbacken und spießig. Und so geriet manches ein wenig zipfelig, die Kleider waren nicht selten vorne länger als hinten (oder andersherum) und überhaupt gelegentlich ein wenig sonderbar geraten. Aber egal, ich hatte Freude am Nähen und war schon damals, mit Anfang 20, der Meinung: Wem’s nicht gefällt, was ich trage, der/die soll doch einfach in eine andere Richtung schauen.
Ein Kleid von damals ist mir bis heute in Erinnerung: Ich hatte es aus einem schweren, schimmernden Viskose-Stoff (oder war es vielleicht sogar Seide?) gefertigt, mit einer breiten Passe am Ausschnitt und Puffärmeln, die bis über die Ellbogen reichten. (Wie ich das ohne Schnitt hingekriegt habe? Ich habe keine Ahnung.) Das Schönste aber war die Farbe: ein tiefes, samtiges Blau-Lila. Je nachdem, wie das Licht fiel, schimmerte der Stoff mehr ins Bläuliche oder eben ins Violette.
Was habe ich dieses Kleid geliebt! Und dennoch weiß ich nicht, wo es geblieben, was daraus geworden ist. Vielleicht liegt es irgendwo in den Umzugskartons, die wir im Februar 2004 (!) in unserem großen Keller abgestellt hatten und dann aus den Augen verloren.
Auch das selbstgenähte Kleid war schon lange in Vergessenheit geraten – bis ich vor ein paar Wochen bei Lemanjá in Berlin einen Kaftan in ähnlicher Farbe sah. Plötzlich war alles wieder da: ich als junge Frau, das Studentenleben, die Wohnung, die ich mit meiner Freundin Doris teilte, mein Zimmer mit dem bodentiefen Fenster zum Innenhof (und den selbstgenähten Vorhängen aus orange-roter Ballonseide …), die Nähmaschine meiner Oma, die im Eck unter der Dachschräge stand … Und das Kleid in diesem schimmernden Blau-Violet, das natürlich auch.
Vielleicht muss ich doch einmal in den Keller hinuntersteigen und die Kartons, die dort nach 20 Jahren immer noch stehen, ausgraben. Vielleicht finde ich es dann ja, mein selbstgenähtes Lieblingskleid aus den späten 1980er-Jahren … Bis dahin trage ich den Kaftan in der Farbe Eclipse von Lemanjá.
Look:
Kaftan: Lemanjá*
Mantel: Marina Rinaldi
Barrett: aus einem kleinen Laden in Venedig
Tasche: Paco Rabanne (leider schon zwei oder drei Jahre alt – aber diese hier finde ich auch ganz hübsch. Oder du legst dich auf Vestiaere Collective auf die Lauer und kaufst die Tasche gebraucht.)
Schuhe: Sézane
Schmuck: Eora
*Heute, am 9. Dezember, gibt es mit dem Code „TEXTELLE10“ 10 Prozent Rabatt.
Fotos: Martina Klein, Berlin. Fotografiert haben wir in Bad Ischl.
Zu Lemanjá:
Ich mag das Berliner Label Lemanjá sehr (die Stoffe, die Farben, die Schnitte!) und ja, ich weiß, die Kleider sind teuer*. Das hat aber auch seinen Grund: Denn dahinter steht der Gedanke zeitloser „Lifetime Pieces“, die man über viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte, tragen kann. Und für die man deshalb bereit ist, auch mehr zu investieren. Buy less – but better. Weniger, dafür Besseres kaufen (und vielleicht vorher darauf sparen). Ich mag diese Idee, und unsere Umwelt auch. Zumal die Kleidung „zero waste“ in Europa gefertigt wird (aus Stoffresten werden Accessoires gemacht) und die schwere Seide dem hohen GOT-Standard (Global Organic Textile Standard) entspricht.
Was ich ebenfalls gut finde: Man kann Lemanjá-Kleider auch mieten. Eine geniale Idee, wenn man zu einem bestimmten Anlass mal etwas wirklich Besonderes tragen möchte.
***
Ich freue mich so sehr, dass meine Texterella-Geschenkbox bei euch so gut ankommt! Ehrlich gesagt, ich hatte nicht gedacht, dass die Resonanz so groß sein würde! Nachdem die ersten zwanzig gleich weg waren, habe ich noch ein bisschen aufgestockt – und paar wenige Boxen sind noch verfügbar. Hier findest du alle Informationen.
15 Kommentare
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 11:15 Uhr
Ja, die Nähmaschine von Omi, die Goldfolie auf dem Ikeatischchen, der Samowar ( Haben wir den je benutzt oder war der nur Deko ? ), die Handtuchstange als Schrankersatz, mein Schreibtisch aus einem Türblatt aus der Ramschecke vom Möbelhaus ( Wie hiess es noch ? ) ....Erinnerst Du dich an mein Nolde-Poster ? Jetzt lehnt es im Esszimmer an der Wand, ausgeblichen und ich suche ein Platz dafür. Erinnerungsstück eben.
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 11:48 Uhr
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 11:24 Uhr
Liebe Susanne,
vielen Dank für die schönen Karten. Bin gespannt wie alles so angenommen wird!
Ja, jede von uns hat wohl so eine Nähmaschinengeschichte und viel Selbstgenähtes. Die Bücher sind ja für meine Mutter und die hat eine Vielzahl von Nähmaschinen im Keller. Bin manchmal sehr erstaunt, dass die jüngeren Generationen, also die so um die Vierzig, das gar nicht mehr so kannten. Und mit den Burdaschnitten bin ich absolut bei dir, ich hatte mir für ein Jahr die Zeitschrift bestellt und war entsetzt über die sehr unmodernen Schnitte. Man/Frau kann doch mal was weiterentwickeln.
Einen schönen zweiten Advent.
Liebe Grüße von Bellalemoncella
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 11:49 Uhr
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 12:21 Uhr
Liebe Susi,
der Name Bellalemoncella ist von einer Website von Bella und Lem, für die Damen über 50+, 2014 gegründet, aber zur Zeit deaktiviert. Ist doch ein Haufen Arbeit!!! Um so mehr freue ich mich, deine bunte Seite über Mode jeden Sonntag morgen zu öffnen.
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 13:27 Uhr
Einen schönen zweiten Advent aus Frankfurt!
Ein tolles Kleid in einer wunderbaren Farbe, finde ich. Und das gab’s doch neulich in Pink, oder?
Beste Grüße
Susanne
am Montag, 11. Dezember 2023 um 15:33 Uhr
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 13:42 Uhr
Das Kleid ist ein Traum.. ich kann verstehen, dass du dich verliebt hast. Bei uns steht die Nähmaschine sigar im Wohnzimmer. Dient wahlweise als Laptoptisch oder eben zum schnell mal was Nähen, wenn es zu Aufwendig ist, die elektrische aufzubauen. Ganze Kleider selbst nähen wage ich mich nicht aber ich ändere gerne welche um. Erst kürzlich habe ich, deine Worte im Sinn, auf einem Second Hand Markt mir was buntes gekauft. Das muss noch gekürzt werden, damit es etwas Pfiff bekommt, vielleicht setz ich mich gleich mal dran…hab ein schönes 2. Adventswochenende
am Montag, 11. Dezember 2023 um 15:35 Uhr
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 16:25 Uhr
Liebe Susi,
was für ein schönes Kleid! Du hattest es in Pink/Rot zur Buchpremiere an?
Die Mutter meiner Mutter und der Vater meines Vaters waren Schneider/in. Leider sind beide Maschinen verschwunden. Ich habe etwas später, als Du mit dem nähen angefangen. Seither bin ich intensiv am selbst schneidern. Kleider, Oberteile, Hosen, Röcke, Mäntel, geht alles. In den frühen 90-ern waren die BURDA-Schnitte in Bestform. Mittlerweile ist der Katalog so unattraktiv aufgemacht, daß es einen graust. Aber (auch wenn sie sich wirklich mal etwas neues einfallen lassen sollten) es gibt viele Klassiker, denen man mit einer kleinen Veränderung mehr Pepp geben kann. Und mit einem schönen Stoff hat man ein “Designerstück”. Seit mutig und laßt die Nadel glühen.
am Montag, 11. Dezember 2023 um 15:43 Uhr
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 16:29 Uhr
P.S.: Liebe Susi, Dir steht das Kleid viel besser als dem Model !
am Sonntag, 10. Dezember 2023 um 18:35 Uhr
Hallo Susi, ich könnte ja ähnliche Nähmaschinengeschichten erzählen, da ich aus einem seh nähaffinen Haus komme. Meine Tante war Trachtenschneiderin bei der berühmten Firma Lanz in Salzburg und hat mir stets streng auf die Finger geschaut. Vor allem hat sie immer alle Werkstücke auch innen betrachte, ob wohl alles ordentlich gesäumt und vernäht wurde. Ich nähe nur mehr selten, weil meine Mama super kreativ ist und tolle Kleider schneidert. Übrigens fand ich dein Kleid in Bad Ischl schon so toll, auch wegen der hohen Qualität. Liebe Grüße aus Salzburg, Claudia
am Montag, 11. Dezember 2023 um 15:42 Uhr
am Montag, 11. Dezember 2023 um 18:15 Uhr
Was für ein wunderbares Kleid! Und du siehst hinreißend darin aus, liebe Susi. Toll.
Meine Patentante ist Schneiderin und putzte mich als Kind immer ganz bezaubernd heraus. Sie nähte alle ihre Kleider in meiner Kindergröße und somit sah ich aus wie in Modepüppchen. auch meine Faschingskostüme nähte sie und das mochte och gar nicht. Die waren mir immer viel zu schick, nicht kitschig und knallig genug. Böse Fee war das schlimmste…
Ich selbst kann gar nicht nähen. Überhaupt nicht.
Aber das ist nicht schlimm, ich kann dafür andere Dinge. Hab einen schönen Abend uns sei lieb gegrüßt, Sandra aus Düsseldorf