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Geboren in den Sechzigern. Ein Gastbeitrag von Simone Harland.

In meinem liebsten Lieblingsnetzwerk Texttreff ist es seit einigen Jahren Tradition, dass wir uns zu Weihnachten bewichteln. Natürlich nicht mit Schnickschnack und Dingsbums, sondern mit Geschriebenem – wie es sich für Wortfrauen gehört.

Mir wurde in diesem Jahr Simone Harland zugewichtelt. Was geradezu perfekt passte, denn sie schreibt (neben der professionellen Schreiberei als Sachbuchautorin und Redakteurin) das Blog "Geboren in den Sechzigern". Das Blog wendet sich also an Menschen, die – wie der Name schon sagt – in den Sechzigern geboren sind, und damit auch genau an meine Texterella-Zielgruppe.

Für Texterella hat sie sich den Zeitraum 1960 bis heute im Schnelldurchlauf und ganz persönlich vorgenommen. Und als kleines Bonbon gibt es noch "Zehn Vorteile, in den Sechzigern geboren zu sein" als Info-Diagramm! :-)

50 Jahre im Schnelldurchlauf

Freie Liebe, Pilzköpfe, Miniröcke, Drogen, Hippies, Woodstock, psychedelische Musik, Studentenrevolte – das sind einige der Begriffe, die fast immer fallen, wenn es um die 1960er Jahre geht. Doch die Sechziger sind noch viel mehr. Zum Beispiel Susis und mein Geburtsjahrzehnt. Susi und ich sind sogar fast gleich alt (okay, okay, ich habe gemogelt: Susi ist etwas jünger als ich).

Zehn Vorteile in den Sechzigern geboren zu sein! Von Simone Harland.

Text: Simone Harland. Gestaltung: Sibylle Zimmermann.

Fast immer, wenn ich mit anderen Menschen, die in den Sechzigern geboren sind, über Erinnerungen und Erfahrungen rede, stellen wir Gemeinsamkeiten fest. Ich bin gespannt, ob es Susi genauso geht. Deshalb hier meine letzten knapp 50 Jahre im Zeitraffer.

Die 1960er

An die Sechziger erinnere ich mich kaum, schon gar nicht an irgendwelche wilden Zeiten, von denen manche Ältere schwärmen (andererseits meinen meine Eltern, ich sei wild gewesen).
Das erste große Ereignis, das ich bewusst miterlebt habe, war die Mondlandung 1969. Und die war todlangweilig. Im Wohnzimmer lief der Schwarz-Weiß-Fernseher gefühlt den ganzen Tag, zeigte aber nur doofe, rauschige Bilder. Trotzdem durfte ich nicht umschalten, was gemein war. Habe stattdessen meinen kleinen Bruder geärgert. Das fanden meine Eltern gemein.

Die 1970er

In den 1970ern fing ich an, Musik toll zu finden. Mit meinem tragbaren Kassettenrekorder hockte ich vor dem Fernseher (Farbe!), den Rekorder vor dem Lautsprecher, drückte die Aufnahmetaste, sobald Musik ertönte und hoffte, dass es diesmal die Bay City Rollers sein würden. Leider erwischte ich nie den richtigen Zeitpunkt zum Starten oder Stoppen der Aufnahme. „Licht aus – womm! Spot an! Jaaaa!“ oder aber das Fehlen der ersten Takte wurden zum Markenzeichen meiner Kassetten. Ich liebte sie sehr, auch wenn es öfter mal Bandsalat gab. Dann schnitt ich einfach ein Stück heraus und klebte den Rest wieder zusammen: „Fox on the run, you are the dancing queen …“

1978 tanzte ich zur Musik von „Saturday Night Fever“, obwohl ich den Film und auch die Musik blöd fand. Im WDR-Radio lauschte ich Mal Sondocks Hitparade, die damals noch anders hieß. Der Empfang war schlecht, ebenso meine Mitschnitte auf Kassette. Trotzdem hörte ich sie mir unzählige Male an. Meine neue große Heldin war nun zwar Kate Bush, doch nach wie vor war ich auch Fan der Bay City Rollers. Aber heimlich, denn BCR waren so was von uncool (aber hey, ich mag manche Songs noch heute).

Die 1980er

Die 80er, das war das Jahrzehnt, in dem ich erwachsen wurde. Oder es zumindest glaubte. Gemeinsam mit Freunden malte ich mir aus, was wir wohl im Jahr 2000 machen würden. Eine genaue Vorstellung hatten wir nicht. Vielleicht würden wir Familie haben, viel wahrscheinlicher würden wir jedoch etwas ganz anderes, etwas Großes machen.

Doch was nach 2000 kommen würde, daran verschwendeten wir keine Gedanken. Warum auch? Es bestand schließlich immer die Gefahr, dass die Menschheit sich vorher ins Nirwana befördern würde. Gründe dafür gab es genug. Den Kalten Krieg und das Wettrüsten, später dann den Golfkrieg, den Millenium-Bug, Klon-Schaf Dolly, den Tod von Prinzessin Diana und so weiter. Zum Trotz sangen wir laut und schräg Prince’ „1999“ („Tonight I’m gonna party like it’s nineteenninetynine, dü-düdütt-düdüdü-dütt”) und vergaßen den Rest.

Die 1990er

In den 90ern begann ich zu arbeiten. In dem Job, von dem ich geträumt hatte. Ohnehin haben viele meiner Freunde und Bekannten Arbeit gefunden, die zu ihnen passte. Allen Unkenrufen zum Trotz, die meinten, wir in den Sechzigern Geborenen seien viel zu viele.

2000 +

Tja. Und dann war das magische Datum auf einmal da: Das Jahr 2000, die Jahrtausendwende. Schneller als gedacht. Und was passierte? Nichts. Nur ein weiteres neues Jahr mit einem hochtrabenden Titel. Millennium.

Seitdem sind 14 weitere Jahre vergangen. Und alle in den Sechzigern Geborenen sind nun zwischen Mitte 40 und Mitte 50. Gesettelt, wie man so schön sagt. Tatsächlich? Viele von uns starten noch mal durch, statt trübsinnig auf die Rente zu warten. Fangen noch mal was anderes an oder lernen etwas Neues hinzu. Träumen und machen Pläne für die Zukunft.
Gemeinsam mit Freunden habe ich mir erst neulich wieder überlegt, was wir wohl in 15, 20 Jahren machen, falls wir dann noch da sind. Der Kreis schließt sich.

***

Danke, liebe Simone, für diesen unterhaltsamen Rückblick, bei dem ich mich durchaus wiederfinde! :-) Nur an die Mondland habe ich – LEIDER!!! – keinerlei Erinnerung. Ich bin halt ein bisschen jünger als du! ;-p

13 Kommentare

Micha
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 10:52 Uhr

Ich freu mich richtig über diesen herrlichen Beitrag! Ich feiere heute meinen 48. Geburtstag und kann mich sowas von wiederfinden darin.
Danke für dieses zusätzliche Geschenk!
Liebe Grüße,
Micha

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Annette
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 10:54 Uhr

Du hast mir nie gesagt, dass Du auch Bay City Rollers Fan warst, Susi!! Ich hatte das ganze Zimmer mit Bravo-Postern dekoriert und besaß eine Franse eines Schals von…. jetzt weiß ich nicht mal mehr wie der Leadsänger hieß ;-)
OMG, die Kassettenrekorderaufnahmen vor dem Fernseher! Ach war das schön.

LG
Annette | Lady of Style

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Susanne
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 10:57 Uhr

Ich bin zwar gerade an den 60ern vorbei gerutscht (ein Jahr zu früh geboren).Ich sage “Danke” für diese tolle Zeitreise. Da kommen Erinnerungen hoch.Und ich habe die BCR auch geliebt. Und wenn jetzt die besten Hits der 70er oder 80er laufen, dann stehe ich zu meinem Musikgeschmack von damals.:-)

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Ute Vogel
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 11:12 Uhr

Hi hi, Bay City Rollers - ich auch :)

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Claudia Claussen
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 11:14 Uhr

Herrlich! Als 66er (was eindeutig der beste Jahrgang ist, hüstel) finde ich mich total wieder - auch ohne Mondlandung, denn erstens war ich zu jung und zweitens hatten wir keinen Fernseher - und freue mich sehr, das alles mal gebündelt zu sehen!

Mein Star war Life Garrett, der sah so gut aus, hach. Die BCR waren natürlich auch auf den Kassetten, die ich im Übrigen heute noch habe und abspielen könnte, grins. Und Chris Roberts, man kann es kaum glauben aus heutigen Sicht ;-)

Ich schwelge und kann mich kaum auf die Buchhaltung konzentrieren, danke fürs Erinnern!

Liebste Grüße, Claudia

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Simone
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 11:20 Uhr

Was vier Monate ausmachen, Susi ;-)

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Patricia
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 13:27 Uhr

Die zehn Vorteile gefallen mir persönlich sehr :-) ... bitte bitte nimm die Kinder der 70er in Deine Zielgruppe auf.

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Clia
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 13:45 Uhr

wir bekamen am Tag der Mondlandung unseren ersten Fernseher. :-)

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Reiner Block
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 17:22 Uhr

Ja, Mal Sondock, ich hatte eine ganze Kassette mit seinen “und Plopp” Songs, sogenannter Stehblues, aufgenommen. Irgendwann war sie verschwunden. Vermisse sie bis heute.

Darf nicht dran denken, kommt nur Wehmut auf, dass ich doch vieles hätte anders gemacht hätte, wenn ich das über mich gewusst hätte, was ich heute weiß.

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Gabi
am Donnerstag, 08. Januar 2015 um 18:14 Uhr

Oh ja, BCR for ever!!! ;))
Liebe Grüße
Gabi

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Petra
am Freitag, 09. Januar 2015 um 08:30 Uhr

Achje, BCR ... Wat war ick verliebt. Und ich hab auch nie den richtigen Anfang beim Aunehmen getroffen. Mit dem Mikro vom Kassettenrekorder vor dem rauschenden Radio. Und unser Kumpel weigert sich heute, Musik anzuhören, die nicht 5.1 aufgenommen wurde ;-)

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Jutta
am Sonntag, 11. Januar 2015 um 13:13 Uhr

Ich bin zwar born in the fifties - und damit der BCR-Verzückung glücklicherweise zuvorgekommen (stattdessen: Barry Ryan, Bee Geees, T.Rex…), aber viele der Erinnerungen sind deckungsgleich ;-)

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Katrin
am Sonntag, 01. Februar 2015 um 20:38 Uhr

... einfach großartig! Mal sehen, ob ich für dieses Frühjahr noch eine Schlaghose im Schrank habe ...
herzlichst Katrin

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