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Frauen ab 40: Das Montagsinterview mit Jutta Bissinger.

Jutta Bissinger ist Journalistin und PR-Frau. Schon als Grundschulkind liebte sie Buchstaben: zum Lesen – Astrid Lindgren gehört bis heute zu ihren Lieblingsautoren. Aber sie liebte auch das Selberschreiben. Logisch also, dass aus Jutta eine Journalistin wurde. Wobei – so logisch ist es eigentlich doch wieder nicht. Und vor allem nicht so einfach ... Mit 18 wurde Jutta zum ersten Mal Mutter, mit 22 kam Kind Nummer 2. Um die beiden – alleinerziehend – zu ernähren, arbeitete sie deshalb einige Jahre als Sekretärin. Doch dann besann sie sich auf ihr Talent, holte das Abi nach, studierte Journalismus und machte sich als freie Journalistin und PR-Frau selbstständig. Puh.

Jutta heute. Mit 48. (Foto: Iris Rothe)

Als Journalistin schreibt Jutta am liebsten über Menschen. Das spiegelt sich auch in ihrem Buch „Um fünf am Stadtbuckel“ wider, mit Geschichten und Anekdoten aus den 50er bis 70er Jahren in ihrer Heimatstadt Offenburg. Ein zweites Buch ist gerade im Werden.

Für Texterella hat mir Jutta etwas aus ihre Mode-Vergangenheit und -Gegenwart erzählt. Und wie immer sind die Geschichten und Geschichtchen sehr spannend ...

Wie würdest du deine Einstellung zu Mode bezeichnen oder beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?

Ich war immer der praktische Typ. Für Modemagazine habe ich mich nie interessiert. Eher war ich genervt davon, da ich Mode immer mit einem bestimmten Zwang gleichgesetzt habe, wie man bzw. vielmehr frau, sich zu kleiden hat.

Natürlich bin ich trotzdem mit der Mode gegangen, auf meine Art. In meiner Jugend war ich stolz auf meine erste Jeans (mit Schlag- und Borte unten! Da war ich 13). In den Jahren danach gehörte ich zu den von der Friedensbewegung angehauchten „Freaks“ mit Opa-Hemden, Jesuslatschen, lila Latzhosen und Palästinensertüchern (es gab daneben noch die von uns verachteten Popper, die gebügelte Karottenhosen und Fönfrisuren trugen; sowie die Punks - und die Normalos, die schon mit 13 aussahen wie Postangestellte). Bei den Freaks ging es eher darum, gewollt lottrig auszusehen – Frisuren gab es genaugenommen nicht, jedenfalls nicht bei mir. Von Haarstylingprodukten hatte ich noch nichts gehört. Und entsprechend standen meine Haare irgendwie vom Kopf ab.

Anfang 20: Mit Riesenbrille und abstehenden Haaren.

Meine Haare waren meist kurz, da sie sehr fein und sehr glatt sind – meine wenigen Versuche, sie wachsen zu lassen, endeten auf halblang. Ab diesem Zeitpunkt luden sie sich bei jedem An- und Ausziehen elektrisch auf und hingen ansonsten wie Schnittlauch herunter. Da ich einen schmalen Kopf habe, fand ich immer, das stehe mir gar nicht. Eine Dauerwelle löste das Problem auch nicht. Mit der ersten sah ich aus wie ein wildgewordener Wischmop, mit den weiteren „Ansatzwellen“ fühlte ich mich wie eine biedere Hausfrau. Dabei wollte ich frech aussehen.

Ebenso wenig gab es figurbetonte Klamotten in meiner „Szene“. Ohnehin liebte ich die sackartigen Sweatshirts – denn sie waren bestens geeignet, um meine Oberweite zu verstecken. Ich hatte lange nicht den Mut zu einem Dekolletee, das passte nicht in mein Weltbild. Enge Jeans dagegen waren ganz wichtig.

Ewig lang besaß ich auch keine einzige Handtasche. Alles, was ich so brauchte, musste in die Jackentaschen passen. Schlüssel, Geld, Zigaretten – in genau dieser Reihenfolge. (Handys oder gar sperrige Smartphones gab es ja gottlob noch nicht). Das war aber auch der Grund, warum ich eine zeitlang Jeans- bzw. Lederwesten mit den unendlich vielen Taschen liebte. Lange Kleider und Röcke verachtete ich lange, bzw. wahrscheinlich eher das Frauenbild, das sie für mich bedeuteten. Sogar zur Konfirmation ging ich in Hosen. Miniröcke dagegen waren ok, aber bitte in Stretch, damit man sich darin bewegen kann.

Ende der 80er: Minirock und "Ansatzwelle"

Ich war nie der romantische Blümchentyp, sondern die Frau, mit der man Pferde stehlen kann.

So ab 30 fing ich dann an, auch mal "obenrum" Figur zu zeigen. Das war die Zeit der Bodys. Auch mit Röcken und Kleidern freundete ich mich langsam an. In diesem Sinne Weiblichkeit zu zeigen, begann mir zu gefallen.

Es gab immer mal wieder Zeiten in meinem Leben, in denen ich ratlos vorm Kleiderschrank stand mit dem Gefühl: Ich hab nix anzuziehen. Das waren Phasen, in denen sich aus irgendwelchen Gründen mein Lebensgefühl änderte – und damit auch der Stil. Oft habe ich dann lange herumprobiert, mich x-mal umgezogen und das, was ich hatte, anders kombiniert. Schwupps, sah ich völlig anders aus.

1991: Die Frau zum Pferdestehlen.

Ich bin nie gern shoppen gegangen. War mir zu anstrengend. Nur im Urlaub hatte ich dazu Nerv. Das ist bis heute so geblieben. Klamotten kaufen gehe ich dann, wenn ich wirklich was brauche – oder wenn das neue Lebensgefühl es dringend verlangt. Dabei sind oft Teile, die ich dann jahrelang in den unterschiedlichsten Kombinationen trage (denn natürlich müssen sie kombinierfähig sein). Fehlkäufe gibt’s aber leider auch hin und wieder. Die wandern dann zum nächsten Kleidertausch.

Welche Stilrichtung bevorzugst du? Wie hat sich dein Geschmack im Laufe deines Lebens verändert – und warum?

Praktisch und sportlich muss es sein, am liebsten auch noch zeitlos. Bequem natürlich sowieso. Wenn ich mich in einem Stück nicht absolut wohlfühle, weil es irgendwo zwickt oder kratzt (ganz schlimm! Ich bin enorm kratzempfindlich, da Neurodermitikerin), geht das gar nicht – egal, wie toll das Teil aussieht.

2002: hin zu mehr Weiblichkeit.

Im Laufe meines Lebens bin ich selbstbewusster geworden, zeige und betone eher mal meine Figur. Ich lege auch mehr Wert auf Qualität als früher, als ich mir wirklich gar nichts Teures leisten konnte. Das ist allerdings sehr relativ. Auch heute brauche ich keine Markenklamotten, achte aber eher auf faire und giftfreie Herstellung. Ich finde ohnehin, im Second-Hand-Laden oder beim (klimafreundlichen!) Kleidertausch gibt es die interessantesten Stücke.

Hattest du modische Vorbilder? Personen oder Persönlichkeiten, die deinen Stil geprägt haben – oder eine modische Ära?

Personen – nein. Wobei ... jetzt, wo ich darüber nachdenke, könnte Marlene Dietrich so ein Vorbild gewesen sein – weil sie auch in Männerkleidern unglaublich weiblich aussah (erst recht).

Modische Ära: Die derzeitige Mode, Kleider oder Röcke über Leggings bzw. Hosen anzuziehen, finde ich unglaublich praktisch (sic), es sieht gut aus, schmeichelt der Figur, vor allem um die Mitte rum, und ist auch noch bequem. Hoffentlich bleibt das lange! Alle anderen Äras hatten zu viele Schrecklichkeiten: Die Siebziger mit ihren übertriebenen Schlaghosen (da zog es im Winter unten so rein) und den allzu spitzen Kragen, die Achtziger mit den grässlichen breiten Schultern, die Neunziger mit den Leggings ohne Rock drüber, die Nuller mit den Hüfthosen, die sogar gut gebaute Frauen aussehen ließen wie abgeschnürte Würste... nee!

Hast oder hattest du ein Lieblingskleidungsstück? Wenn ja, welches? Und warum?

Seit fast 20 Jahren ist eine Hot Pants ein Lieblingsstück von mir. Sie hat Geschichte: Ich habe sie im Korsika-Urlaub, dem schönsten Urlaub meines Lebens (drei Wochen allein mit Rucksack und Zelt) am Straßenrand gefunden, als ich gerade darüber nachdachte, dass ich doch eine kurze Hose hätte mitnehmen sollen und ob ich meine lange abschneiden solle oder etwa eine kurze kaufen...? Da lag sie, als sei sie soeben vom Himmel gefallen. Sie ist inzwischen ausgefranst, ausgeblichen und löchrig – und das sieht heute wieder so trendy aus, dass mein Schwager mich neulich fragte, wieviel Geld ich denn für das Teil bezahlt hätte.

Wie hat sich deine Einstellung zu Schönheit und Aussehen in den letzten Jahren verändert? Inwieweit hat das Älterwerden damit zu tun?

Ich hatte immer das Glück, ohne viel Mühe eine gute Figur zu haben. Trotzdem fand ich früher diesen und jenen Makel an mir – wie wohl fast jede Frau: Haare zu dünn, zu viel Oberweite, dicke Brille (ich bin seit meinem sechsten Lebensjahr stark kurzsichtig und wurde von anderen Kindern „Brillenschlange“ gerufen. Mit 13 bekam ich Kontaktlinsen – ein Segen für die Pubertät! Doch schon bald vertrug ich die Dinger wegen trockener Augen nur noch stundenweise).

Heute bin ich viel gnädiger mit mir und mag mich lieber. Ich bin selbstbewusster als mit 20 oder 30. Das hat sicher etwas mit der Gelassenheit zu tun, die das Älterwerden so mit sich bringt. Irgendwann hab ich mich gefragt: Wohin führt es eigentlich, sich ständig selbst so kritisch zu betrachten? Diese Energie kann ich sinnvoller verwenden. Ich habe zwei wunderbare erwachsene Kinder, ich bin ziemlich zufrieden mit meinem Leben, habe in vielem viel Erfahrung und dennoch auch vieles vor. Ich muss mir kein Bein mehr rausreißen, um irgendwem zu gefallen.

2008: ganz business ... (Foto: Iris Rothe)

Schönheit kommt von innen. Das ist ein alter Spruch, aber ich spüre heute, was er wirklich bedeutet. Ich höre es nicht nur, ich spüre es wirklich.

Zur Kosmetik: Bist du eher der Wasser-und-Seife-Typ oder glaubst du an die Möglichkeiten moderner Produkte?

Ich bin vollauf zufrieden mit relativ günstigen Bio-Produkten aus dem Drogeriemarkt: Eine Tagescreme, eine Nachtcreme, ab und zu eine Augencreme. Auf dem Sektor probiere ich auch mal was Neues aus. Teure Markenkosmetika benutze ich nur als Pröbchen oder wenn meine Tochter mal wieder ein Praktikum in einer Kosmetikfirma macht.

Du bist auf Reisen und hast deine Waschbeutel vergessen. Welche drei (Kosmetik-)Produkte kaufst du sofort?

Zahnbürste, Zahncreme und Lotion. Ich habe extrem trockene Haut. Daher gehe ich auch nie ohne Handcreme aus dem Haus und habe überall welche deponiert: In fast jedem Raum im Haus, im Büro, in Handtaschen, Rucksäcken, Jackentaschen.

Hast du ein Schönheitsgeheimnis? Wenn ja, welches?

Nichts Kosmetisches.

Um innen und außen jung zu bleiben: feiern und danach ausschlafen. Überhaupt genügend schlafen. Nicht zu viel arbeiten. Nicht zu viel rauchen. Glücklich sein und sich nix verkneifen. Niemals mit Liebe geizen. Liebe annehmen. Mit sich im Reinen sein. Einen wilden Garten haben und ihn genießen. Neugierig bleiben. Gutes Essen selber kochen. Täglich ein bisschen Sport an der frischen Luft. Das bedeutet in meinem Fall eine Runde mit dem Mountainbike oder Nordic Walking durch Wald und Reben, beides direkt vor unserer Tür, manchmal auch einfach ein Spaziergang.

Insgesamt: Sich selber gern haben.
Gibt es ein Mantra, das dich durch dein Leben begleitet?

Nein, dazu fällt mir gar nichts ein!

Danke, liebe Jutta, für deine Mode-Geschichte - und für das "Feiern und danach ausschlafen" als Schönheitsgeheimnis. Das werde ich mir auf jeden Fall merken! :-)

***
Mehr spannende Interview mit spannenden Frauen jenseits der 40 gibt es übrigens hier: Click and enjoy!

5 Kommentare

Jutta (II)
am Montag, 30. September 2013 um 15:28 Uhr

Hach. Hach. Und noch mal hach. Die tolle, tolle Strahlefrau, die meinem Namen Glanz verleiht ;-)

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emanuel
am Montag, 30. September 2013 um 18:58 Uhr

ich hoffe ich verletze keine regel und darf hier auch als mann meine gedanken hinterlassen.
toll, super…wie auch immer.
ich hab deine zeilen mit viel freude gelesen.
glückwunsch tief, ehrlich und von herzen

in lieben gedanken, emanuel

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Farbenfreundin
am Montag, 30. September 2013 um 23:57 Uhr

...und wieder ein großartiges Interview, nein, Portrait. Wunderbar! Ich wünsch mir diese tollen Frage-Antworten-Portraits von den tollen Frauen bitteschön als Buch, Hardcover
Danke auf jeden Fall

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Sabina Styleblog So nur in Frankfurt
am Dienstag, 01. Oktober 2013 um 11:36 Uhr

Also ich freue mich immer schon montags wieder ein neues Mode-Frauen-Interview mit diesen sympathischen Details zu lesen!. Danke. Sabina

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Jutta
am Donnerstag, 16. Januar 2014 um 11:49 Uhr

Danke, ihr Lieben, für die tollen Kommentare :-) Ist zwar schon wieder ein paar Monate her, aber nun ist das Ganze auch ENDLICH auf meinem eigenen Blog http://www.jutta-bissinger.de/blog verlinkt.
Susi, auf viele erfolgreiche weitere Interviews!
Und die Idee mit dem Buch finde ich klasse…
Jutta

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