Frauen ab 40: Das Montagsinterview mit Petra Lehmann.
Petra Lehmann kenne ich schon seit einigen Jahren. Getroffen haben wir uns auf twitter, wo sie als Emillota für ihre witzigen und bissigen Tweets bekannt ist. Was habe ich mich oft über sie amüsiert und tue es immer noch, wenn ich – selten genug – mal bei twitter reinschaue. Beim Schreiben dieses Intros hingegen musste ich nicht schmunzeln oder lachen, mir stiegen vielmehr die Tränen in die Augen. Weil Petra und die Menschen um sie herum die Welt tatsächlich ein bisschen besser machen. Und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit Taten.
„Ungerechtigkeit macht mich sehr wütend, untätig zusehen zu müssen, wie schlimme Dinge geschehen, das ist etwas, das ich nicht gut aushalten kann. Daher ist dies genau mein Weg, jeden Tag aktiv etwas tun zu können, um Situationen zu verändern. Zu verbessern.“ Petra ist mit Heimatstern e.V., einer anerkannt gemeinnützigen Hilfsorganisation, sehr aktiv in der Geflüchtetenhilfe und kümmert sich gemeinsam mit ihrem Mann und vielen anderen derzeit besonders um die desolate Situation der Menschen in Idomeini, sei es durch Sachspenden (etwa 420 Feldbetten, 600 Topfsets, Hunderte von Schlafsäcken und Zelten und vieles mehr), Babynahrung, Nahrung überhaupt, Obst und Gemüse oder auch medizinische Unterstützung. Mittlerweile wurden zwei 40-Tonnen-LKWs nach Idomeini geschickt, ein weiterer ist in Planung. Während dieses Interview erscheint, ist ihr Mann gerade vor Ort. Erschütternde, aber auch Mut machende Bilder gibt es auf twitter und auf Facebook. (Ich habe mir erlaubt, unter dem Interview das Spendenkonto für Heimatstern anzugeben. Petra hat mich nicht darum gebeten, ich tue es, weil ich von ihrer Hilfe absolut überzeugt bin, selbst schon gespendet habe und weiß, dass jeder Euro ankommt – und hilft.)
Petra Lehmann, 47.
Auch in diesem Interview habe ich wieder einiges Neues über einen Menschen erfahren, den ich doch ein bisschen zu kennen glaubte: Zum Beispiel, dass Petra neben Amerikanistik auch Psychologie studiert hat, dass sie aus einem Künstlerhaushalt stammt – ihr Vater war Geiger bei den Münchner Philharmonikern –, dass sie ein richtiges Münchner Kindl ist. Und dass sie Taschen und Schuhe liebt ... Letzteres hat mich irgendwie am meisten überrascht. Aber lies selbst!
Wie würdest du deine Einstellung zu Mode bezeichnen oder beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?
Mode war für mich lange Zeit negativ besetzt. Etwas, dem Menschen blindlings hinterherrennen, das aufoktroyiert wird, das Individualität raubt und eigentlich ganz und gar umkreativ ist.Ich bin ein Kind der 80er-Jahre und habe mich schon sehr früh allen Trends und Strömungen widersetzt. Sehr zum Entsetzen meiner recht bürgerlichen Eltern. Ich trug übergroße, völlig zerfetzte Herrenjacketts aus den 50er-Jahren, dazu entweder klobige Stiefel oder Petticoats. Oder beides. Netzstrumpfhosen mit handtellergroßen Löchern, einen Undercut, als es das Wort für diese Frisur noch gar nicht gab. Meine bevorzugte Farbe war schwarz, meine Haare trug ich in allen möglichen und unmöglichen Farben. Kurz: Ich war Lichtjahre von den geschniegelten Benetton- und Burlington-Mädchen entfernt.
„Ich trug Petticoats zu Herrensakkos!" (1982)
Was ich allerdings immer schon sehr mochte, das war Schmuck. Ich erinnere mich, immer sehr spezielle Ohrringe getragen zu haben. Armreifen. Lederbänder. Auch um die Stiefel trug ich Ketten und Bänder, eine ganze Weile sogar Glöckchen.
Schon früh habe ich herausgefunden, dass Flohmärkte eine unerschöpfliche Quelle für individuelle Kleidung und außergewöhnlichen Schmuck sind.
Eine Leidenschaft, die mich auch heute noch früh aus dem Bett treibt. Fast jedes Wochenende findet man mich morgens auf einem der großen Flohmärkte in München. Das ist einfach immer wieder spannend und aufregend, auch wenn ich nur noch selten zerfetzte alte Herrenjacken kaufe.
Jetzt ist es eher Schmuck, ich habe eine recht beeindruckende Sammlung an Vintage-Schmuck zusammengetragen: ausgefallene Langani-Ketten, eigenwilligen 70er-Jahre-Emaille-Schmuck, sogar Klassiker von Chanel oder Givenchy. Im Laufe der Jahre habe ich schon ein paar wirklich spektakuläre Funde gemacht.
Liebt Schmuck. (2016)
Mittlerweile ist Mode etwas, das ich durchaus verfolge. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich zweimal im Jahr nervös darauf warte, dass die neuen Kollektionen herauskommen, aber ich verweigere mich nicht mehr aus Prinzip. Altersmildheit vielleicht. Wer weiß.
Welche Stilrichtung bevorzugst du? Wie hat sich dein Geschmack im Laufe deines Lebens verändert – und warum? Was hast du in den 20ern/30ern/40ern getragen? Hattest du modische Vorbilder? Personen oder Persönlichkeiten, die deinen Stil geprägt haben?
Seit ein paar Jahren bemerke ich, dass ich bei meinem Kleiderstil ein bisschen zur Ruhe gekommen bin. Wahrscheinlich ist das dieses „erwachsen“. Ich trage meist Dinge, die zueinander passen und bin da ziemlich eigen. Das fängt bei der Unterwäsche an (Was denkt der nette Notarzt, wenn ich einen Unfall habe und der BH passt nicht zum Rest?), geht weiter bei der Kombination von Gürtel/Schuhe/Tasche und endet beim Schmuck. Ich habe mich tatsächlich schon mal komplett umgezogen, nachdem ich bemerkt hatte, dass ich statt schwarz-schwarz bei der Unterwäsche schwarz- dunkelblau erwischt hatte. Adrian Monk wäre manchmal stolz auf mich.Jeans sind mein Klassiker, aber ich trage auch immer mal wieder Kleider und bin dann selbst überrascht, dass ich mich darin wohl fühle.
Kleidung muss bei mir definitiv zweckmäßig sein. Das bedeutet aber auch, dass ich mich darin wohl fühlen und selbst attraktiv finden muss. In der Kombination Jeans-Bluse-Stiefel fühle ich mich mit einem schönen, gern auch etwas ausgefallenen Gürtel und passendem Schmuck immer gut angezogen.
Schuhe sind meine Schwachstelle. Ich habe viel zu viele (genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln) und liebe es, die Auswahl zu haben. Alleine Converse Chucks dürfte ich 30 Paar besitzen. Manchmal träume ich von einem eigenen Raum für meine Schuhe (bescheidene 50 Quadratmeter würden mir reichen), meine Familie ist jedoch der Ansicht, dass auch ein Wohnzimmer seinen Reiz hat. So werde ich also weiterhin Imelda Marcos beneiden und meine Lieblinge in Kartons im Regal aufbewahren.
Teilt meine Begeisterung für Audrey Hepburn und große Sonnenbrillen. (2016)
Ein weiteres Faible sind Handtaschen. Im Laufe meines Lebens habe ich gelernt, dass man besser eine hochwertige Tasche kauft, als zehn günstige, die dann schnell kaputt gehen oder von Anfang an billig wirken. Überhaupt ist Qualität etwas, dass ich immer mehr zu schätzen weiß, je älter ich werde. Nicht nur in modischer Hinsicht.
Vorbilder? Dafür bin ich nicht der Typ. Aber wenn ich eine Frau und ihre Mode bewundere, dann Audrey Hepburn. Sie ist für mich der Inbegriff von klassischer Schönheit und Stil. Nicht umsonst hängt sie im Format 1,60 Meter x 1,20 Meter in meinem Wohnzimmer.
Hast du ein Lieblingskleidungsstück?
Mäntel hätte ich noch bis vor kurzem nicht getragen. Lederjacken schon eher, kurze Jeansjacken – aber Mäntel? Bis mir dann irgendwann ein sehr schlichter, taillierter Mantel von Vive Maria in die Hände fiel, schwarz, brokatartiger Stoff mit ganz dezenten Mustern. Anprobiert. Für mich gemacht!
Im schwarzen Lieblingsmantel! (2014)
Das ist definitiv mein Lieblingsteil.
Wie hat sich deine Einstellung zu Schönheit und Aussehen in den letzten Jahren verändert? Inwieweit hat das Älterwerden damit zu tun?
Wenn ich meine Fotos betrachte, dann finde ich mich mit 20 nicht unbedingt attraktiver als heute. Ob das tatsächlich so ist oder nicht, das lässt sich wohl schwerlich herausfinden, denn nichts ist so subjektiv, wie die Definition oder Interpretation von Schönheit. Menschen sind schön, wenn ich sie mag. Und die werden immer schöner, je mehr ich sie mag. So ähnlich ist es auch mit der Eigenwahrnehmung. Wenn man zufrieden ist und mit sich im Großen und Ganzen klarkommt, dann hält man auch dem Blick in den Spiegel stand. Auch morgens gleich nach dem Aufstehen. Oder abends, nach einem langen Tag.
„Eigentlich bin ich ja ein Jeanstyp ..." (2015)
Ich habe schon vor längerer Zeit aufgehört, mit mir selbst gnadenlos streng zu sein, mich an anderen Frauen zu messen, zu vergleichen oder jemandem nachzueifern. Das entspannt ungemein, denn damit gewinnt man Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Schuhe zum Beispiel.
Zur Kosmetik: Bist du eher der Wasser-und-Seife-Typ oder glaubst du an die Möglichkeiten moderner Produkte?
Gute Gesichtscremes verwende ich schon sehr lange. Seltsamerweise hat das für mich immer schon eine gewisse Anziehung gehabt. Lange vor den ersten Falten wusste ich genau, welche Produkte am Markt sind, was sie versprechen und was sie halten. Shampoo und Spülung. Bodylotion und Körperbutter, Handcreme und Peeling. Wenn unterwegs bin, dann passt mein Kosmetikkram in Normalgrößen auch selten in eine handelsübliche Kulturtasche. Das beantwortet die Frage, fürchte ich.Du bist auf Reisen und hast deine Waschbeutel vergessen. Zahnpasta und Seife gibt es im Hotel. Auf welche drei (Kosmetik-)Produkte kannst du keinesfalls verzichten und kaufst sie sofort ein?
Das ist wirklich schwer zu beantworten. Siehe oben. Manchmal, wenn wir kurz verreisen, habe ich mehr Körperpflegeprodukte dabei als der Mann überhaupt Gepäck mitnimmt.Aber ich denke, es wären diese drei Dinge:
* Lippenpflege von Blistex. Ohne die werde ich wahnsinnig.
* Nivea Care Creme. Notfalls für Gesicht und Körper.
* Biotherm Pure Deoroller
Oder vielleicht doch das Zitronenmelisse-Shampoo von Guhl? Oder die Intensiv-Sprühkur in der hübschen rosa Flasche?
Würdest du dich für die Schönheit unters Messer legen? Oder Botox, Filler etc. nutzen?
Kann ich mir nicht vorstellen. Überhaupt nicht. Aber wer hätte auch gedacht, dass ich mal Mantel tragen würde? Wobei, nein, das kann man nicht vergleichen!Nein, für mich ist das keine Option, ich hätte zu viel Angst, hinterher lächerlich zu wirken oder mein Gesicht nicht mehr zu erkennen. Ich finde es schon sehr abschreckend, dass es viele Frauen gibt, die nach Schönheits-OPs aussehen, als hätte ihnen jemand eine Maske aufgesetzt. Besonders entstellend finde ich extrem aufgespritzte Lippen. Oder permanent Make-up, das wirkt, als hätte sich ein Kindergartenkind mit schwarzem Edding ausgetobt.
Wunderschön. Damals wie heute. (1990)
Ich finde nicht, dass das Alter mein Feind ist.
Gepflegt sein ist für mich eher wichtig. Falten machen Gesichter nicht hässlich, im Gegenteil. Es gibt umwerfend attraktive Menschen, deren Gesichter nicht makellos sind. Auch Narben gehören für mich in diese Kategorie. Es macht Menschen eher spannend und anziehend, wenn ihr Äußeres etwas zu erzählen hat.
Als wir kürzlich in London waren, sah ich Hellen Mirren auf dem Cover irgendeiner britischen Zeitschrift. Und ich dachte mir nur, dass ich mit über 70 auch noch gerne so hinreißend aussehen würde. Und weder die grauen Haare noch die Falten machen diese Frau weniger attraktiv.
Hast du ein Schönheitsgeheimnis?
Schönheitsgeheimnis klingt so mysteriös. Zumindest bei mir ist es relativ einfach.Wenn ich genug Schlaf habe, dann sieht man mir das an. Umgekehrt leider auch.
Make-up muss für mich dezent sein, Haare immer frisch gewaschen und ich verlasse das Bad nie ohne mein Lieblingsparfum.
Das ist zwar jetzt kein Schönheitsgeheimnis, aber ich denke, dass ganz viel Ausstrahlung auch daher kommt, dass man sich in seiner Haut wohlfühlt und dies auch eine gewisse Selbstsicherheit mit sich bringt. Wenn ich mein Programm morgens im Bad durchgezogen habe, dann passt das und der Tag kann kommen.
Was ist für dich die größte Herausforderung am Älterwerden? Und die schönste Überraschung?
Da muss ich ernsthaft nachdenken. Es ist Leben. Keine Herausforderung, die mit einem willkürlich gewählten Geburtstag beginnt. Für mich ist älter zu werden nichts negatives – eher ein Privileg. Wenn man, so wie ich, Freunde verloren hat, die sehr gerne älter geworden wären, dann relativiert sich vieles. Sie hätten gerne Falten bekommen, graue Haare oder eine Lesebrille.
„Mode interessiert mich heute deutlich mehr als früher!" (2016)
Ich fühle mich übrigens auch überhaupt nicht alt. Manchmal überrascht mich die Zahl selbst, wenn jemand nach meinem Alter fragt. War ich nicht eben noch 16?
Die schönste Überraschung kommt vielleicht noch, ich bin gespannt und überlege bis dahin, wie sie aussehen könnte ... (Eine geheime Superkraft vielleicht? Doch, das würde mir gefallen!)
Gibt es ein Mantra, das dich durch dein Leben begleitet?
Man sollte Menschen nie danach beurteilen, was sie sagen, sondern einzig danach, was sie tun. Und bei sich selbst anfangen.Nicht reden! Machen!
Liebe Petra, danke fürs Dabei sein – und danke noch viel mehr für dein Engagement, mit dem du nicht nur so vielen Menschen hilfst, sondern mir auch ein bisschen meinen Glauben an die Menschheit erhältst.
Und hier noch das Spendenkonto für Heimatstern:
Heimatstern e.V.
IBAN: DE47 7015 0000 1004 2328 54
BIC: SSKMDEMMXXX
Es können Spendenquitttungen ausgestellt werden.
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4 Kommentare
am Montag, 25. April 2016 um 09:20 Uhr
Ein wunderbares Interview mit einer tollen Frau, mit der ich offenbar mehr gemeinsam habe als den Vornamen. Weiterhin so viel Lebensfreude, Weisheit und allezeit die Kraft, gegen Ungerechtigkeiten anzugehen!
am Dienstag, 26. April 2016 um 21:22 Uhr
Eine beeindruckende Frau. Toll, dass Du uns immer wieder mit so tollen Frauen überraschst!
Danke dafür!!
Liebe Grüße
Anja
am Dienstag, 26. April 2016 um 21:35 Uhr
Wie du oben schreibst, Susi. Eine wunderschöne Frau von Innen und Außen. Tolle Engagement!
Gruß Cla
am Dienstag, 26. April 2016 um 21:52 Uhr
Ich mag das Motto - obwohl es nicht immer passt,aber sehr sehr oft ;-)