Frauen ab 40. Das Montagsinterview mit Chrissie Rehn.
Chrissie Rehn – besser bekannt als Die Edelfabrik – ist eine der allerersten Ü40-Modebloggerinnen, die ich kennenlernte. Ich weiß es noch genau: Es war ein heißer Augusttag in Hamburg auf einem Nivea-Event, und während ich fast alle anderen Teilnehmerinnen inzwischen vergessen habe – Chrissie und ihr unvergleichlicher Stil sind mir in Erinnerung geblieben. Wobei ich sie damals eher für Mitte 30 hielt, als für knappe 40.
Was mich an den Montagsinterviews ja immer wieder fasziniert, sind die spannenden Lebensläufe, auf die viele Frauen zurückblicken: Oder würde man glauben, dass eine reinrassige Modebloggerin einige Semester Theologie studiert hat? Ich zumindest nicht, aber vielleicht bin ich auch nur ein besonders klischeebeladenes Exemplar (auch wenn ich mich selbst immer gegen dieses Schubladendenken wehre! :-)) Dann wurde es aber doch ein Studium der Kommunikation, in dieser Branche hat Chrissie dann auch ihren Beruf und ihre Berufung gefunden.
Ihr Modeblog Die Edelfabrik betreibt Chrissie seit 2011. „Blogs habe ich immer schon gern gelesen. Allerdings haben mir Frauen in unserem Alter gefehlt, die modisch auch mal ein bisschen extremer unterwegs sind und sich nicht immer nur ‚stilvoll', ‚klassisch' oder ‚schick' kleiden wollten, sondern auch mal verrückt, auffällig und ein bisschen durchgeknallt. Und dann hab ich halt selbst ..."
„Ich war immer ein Glückskind“, sagt Chrissie von sich selbst. Der erste richtige Schicksalsschlag war der Tod ihres Vaters im letzten Dezember, nach einem mehrmonatigen Martyrium, zuletzt als Schwerstpflegefall. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich begriffen, was es heißt tieftraurig zu sein ... Geholfen haben mir in dieser Zeit besonders meine engen Freundinnen. Und mir gezeigt, was mit das wichtigste im Leben ist: Freundschaft.“
Chrissie Rehn, 42.
Wie würdest du deine Einstellung zu Mode bezeichnen oder beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?
Meine Einstellung zur Mode – das ist echt eine knifflige Frage, denn ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob ich eine „Einstellung" dazu habe. Kurz und knapp würde ich sagen: Ich mach' einfach! :) Was sich aber sicher im Laufe meines Lebens verändert hat, ist die Sichtweise, die ich auf Mode habe. War sie früher eher Mittel zum Zweck, etwa um eine Gruppenzugehörigkeit oder auch Gruppenabgrenzung zu zeigen, drücke ich heute mit meiner Kleidung meist meine aktuelle Stimmung aus. Wer mich gut kennt, kann häufig schon anhand dessen, was ich trage, sehen, wie es mir geht.
„Als Schülerin ging mein Stil Richtung Punk." (1991)
Welche Stilrichtung bevorzugst du? Wie hat sich dein Geschmack im Laufe deines Lebens verändert? Hattest du modische Vorbilder? Personen oder Persönlichkeiten, die deinen Stil geprägt haben?
Ich bin eine „Kein-Stil-Frau". Damit will ich aber auf keinen Fall sagen, ich hätte keinen Stil! Auch wenn das andere vielleicht manchmal denken. ;-) Nein, ich fühle mich nur einfach in vielen verschiedenen Stilrichtungen wohl. Heute sportlich, morgen elegant und übermorgen verrückt.
Mag wilden Stilmix und dunklen Lippenstift! (2015)
Ich kleide mich tatsächlich absolut stimmungsabhängig. Das ist bei mir im Joballtag glücklicherweise auch überhaupt kein Problem. Selbst im Pyjamalook saß ich schon mal im Büro. Es gibt natürlich Ausnahmen: Bei Meetings oder gesellschaftlichen Anlässen weiß ich, trotz aller Verrücktheit, sehr gut was geht und was eben nicht.
Direkte modische Vorbilder habe ich keine. Mir fallen eher gute Looks und weniger die Personen, die sie tragen auf. Wenn ich beispielsweise ein Modemagazin durchblättere, denke ich zuerst: „Wow, toller Look!" und erst im zweiten Step: „Ach, Gwen Stefani – lässig!".
Was sich aber, seit ich blogge, auf jeden Fall geändert hat, ist mein Mode-Mut. Jetzt, mit über 40, traue ich mich viel mehr als früher. Das hängt auch damit zusammen, dass Mode seit der Gründung der Edelfabrik im Jahr 2011 einen viel größeren Stellenwert in meinem Leben einnimmt als vorher. Ich beschäftige mich jetzt generell viel mehr mit dem Thema, nehme aktuelle Trends unter die Chrissie-Lupe und entscheide, ob sie etwas für mich sind oder nicht.
„Ich bin heute viel modemutiger als früher!" (1999)
Speziell auch der Blick auf die Branche ist mit den Jahren ein anderer geworden. Die Hintergründe und Menschen, die Mode machen, interessieren mich heute viel, viel mehr als früher. Kreative Modedesigner nehme ich mittlerweile als echte Künstler wahr. Deren Arbeit inspiriert mich gleichzeitig auch dazu, weniger zu kaufen, sondern eher selbst kreativ zu werden und mich auszuprobieren.
Außerdem ist es mir heute viel unwichtiger, was andere Menschen von mir und meinem Stil denken.
Hast du ein Lieblingskleidungsstück?
So ein richtiges Lieblingskleidungsstück habe ich nicht. Aber ich habe auf jeden Fall ein extremes Extrem-Faible für1. Lederleggings
2. Culottes
3. Strickkleider
Das sind Kleidungsstücke, die in den unterschiedlichsten Ausführungen in meinem Kleiderschrank wohnen. Sie sind eine Art sichere Bank, wenn ich mal keine Lust zum Rumprobieren habe. Ich bin, das muss ich sagen, häufig auch ein „Trendmitmacher". Deswegen tummeln sich seit drei Jahren beispielsweise auch Tüllröcke in meinem Schrank, die ich liebe und tatsächlich gern trage – sicherlich auch noch dann, wenn der Hype schon wieder lange abgeebbt ist.
„Ich liebe Culottes!" (2016)
Über Fashiontrends soll sich jeder seine eigene Meinung bilden. Für mich ist in erster Linie wichtig, ob mir etwas steht oder nicht und ob ich Spaß daran habe. Trifft beides zu, freue ich mich über diese kleinen Hypes und bin, innerhalb eines gewissen Rahmens, gern mit dabei. Ein aktuelles Beispiel sind die gerade wieder sehr angesagten Bomber- und Collegejacken. Meine „alten" Modelle habe ich wieder rausgekramt und eine rosafarbene ist neu dazu gekommen.
Wie hat sich deine Einstellung zu Schönheit und Aussehen in den letzten Jahren verändert? Inwieweit hat das Älterwerden damit zu tun?
Ich habe in den vergangenen Jahren auf jeden Fall (zwangsweise) angefangen, mich mehr damit auseinander zu setzen. Obwohl ich immer noch (die Beautygurus müssen mal kurz weglesen) total oft ohne Abschminken ins Bett gehe ... jaja, ich weiß … schlimm! :).Tatsächlich gibt es ein paar Sachen, die mich in Sachen Aussehen am Älterwerden total nerven. Meine „Winkearme" zum Beispiel… und die doofen Hautfalten an meinem Hals. Aber dann ist der Leidensdruck doch noch nicht groß genug bei mir … Aktuell beobachte ich einfach noch, was da so passiert – aber ich hab keine Spaß daran, da bin ich ehrlich.
„Als junger Mensch habe ich mich ziemlich ausprobiert. Auch modisch!" (1992)
Meine Einstellung zum Älterwerden ist grundsätzlich ziemlich pragmatisch: Es passiert und ich kann es nicht ändern – so what! Mein größter Wunsch ist es, auch im Alter noch mobil und vor allem geistig fit zu bleiben. Speziell vor dem Hintergrund, was ich bei meinem Vater erlebt habe, hat sich bei mir mittlerweile leider auch ein bisschen Angst davor eingeschlichen, was noch kommen könnte.
Zur Kosmetik: Bist du eher der Wasser-und-Seife-Typ oder glaubst du an die Möglichkeiten moderner Produkte?
Beides :D – ganz nach Zeit und Laune. Wenn es schnell gehen muss, nehme ich Wasser plus Seife und fertig. An die Möglichkeiten moderner Produkte glaube ich nur bedingt … Das hindert mich aber überhaupt nicht daran, sie in allen Facetten zu testen und zu hoffen.Habe ich aber Zeit und Muße, dann darf es natürlich sehr gern ein Serum plus Ampulle und Tagespflege undundund sein. Solche Beautyexzesse erfüllen dann aber nicht nur das Bedürfnis nach einer umfassenden Pflege, sondern sind immer auch eine ganz große Portion Wellness und Entspannung für mich.
Du bist auf Reisen und hast deine Waschbeutel vergessen. Zahnpasta und Seife gibt es im Hotel. Auf welche drei (Kosmetik-)Produkte kannst du keinesfalls verzichten und kaufst sie sofort ein?
Ein dunkler Lippenstift, eine gute, pflegende Foundation (aktuell: Indefetible Sculpt Foundation von L'Oréal) und eine gute Mascara – darauf würde ich auf keinen Fall verzichten wollen.
„... ich war aber auch schon im Pyjama-Look im Büro ..." (2015)
Würdest du dich für die Schönheit unters Messer legen? Oder Botox, Filler etc. nutzen?
Absolut! Da hätte ich null Probleme mit. Ich weiß nur nicht genau, ob ich mich trauen würde. Ich denke, es gibt eine Menge zwischen "Renée-ich hab-meine-Haut-hinter-dem-Ohr-festgetackert-Zellweger" und einem faltigen „Uroma-Look". Früher dachte ich immer: Never! Aber nachdem ich, übrigens auch durchs Bloggen, gesehen habe, was möglich ist, habe ich meine Meinung mittlerweile ein bisschen geändert.Hast du ein Schönheitsgeheimnis?
Ein wirkliches Schönheitsgeheimnis habe ich nicht. Wenn ich es hätte, würde ich es gern verraten.Vor rund 15 Jahren riet mir aber eine Kosmetikerin dazu, nach jedem Waschen ein Gesichtstonic zu benutzen. Daran habe ich mich seitdem gehalten. Vor diesem Hintergrund sollte ich die Frage nach den drei ultimativen Kosmetikprodukten oben vielleicht noch mal überdenken ... ;-)
Was ist für dich die größte Herausforderung am Älterwerden? Und die schönste Überraschung?
Ich glaube, die größte Herausforderung am Älterwerden ist es für mich, „den richtigen Ton zu treffen". Speziell bei meinem Modestil frage ich mich heute schon ganz oft: „Darf ich das noch…?" Von wegen Ü40 und so. Meistens beantworte ich mir diese Frage dann aber selbst mit „Klar, ist doch mein Ding!"Die schönste Überraschung für mich ist, und da schließt sich der Kreis, dass wirklich enge Freundschaften, egal wie unterschiedlich sich Lebenswege entwickeln, bis ins Alter halten.
Ich habe mich bespielsweise ganz bewusst gegen Kinder entschieden, die meisten meiner Freundinnen dafür. Unsere Lebenswelten und -entwürfe sind ganz unterschiedlich, aber das spielt keine große Rolle. In meinen Zwanzigern hätte ich nicht gedacht, dass meine Freundinnen von damals die gleichen sind, die mich auch heute noch durch Dick und Dünn begleiten.
Military-Look. Einer von Chrissies vielen Facetten. (2016)
Ein weiterer „netter Bonus" am Älterwerden ist, dass ich die meisten modischen Trends, die sich ja alle paar Jahre gewissenhaft wiederholen, mittlerweile hervorragend aus meinem eigenen Kleiderschrank „recyclen" kann. Frei nach dem Motto: „Ah, die Wildledermäntel sind wieder da ... da hatte ich doch vor zehn Jahren diesen … wo ist der denn nur abgeblieben? ;)"
Gibt es ein Mantra, das dich durch dein Leben begleitet?
Ja: „Ganz oder gar nicht!"Danke für deine Offenheit, liebe Chrissie! Und für deinen wunderbar unverkennbaren Chrissie-Stil!
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13 Kommentare
am Montag, 06. Juni 2016 um 08:35 Uhr
Ach wie schön, bei Chrissie lese ich schon lange mit und ich habe mich echt gefreut, hier heute Morgen meine “Carrie Bradshaw” der Blogosphäre” zu treffen. Tolle Frau und sehr inspirierend. ;)
Danke euch beiden für das Interview! Und Chrissie schicke ich eine virtuelle und mitfühlende Umarmung. Alles Liebe für dich! <3
am Dienstag, 07. Juni 2016 um 08:51 Uhr
am Montag, 06. Juni 2016 um 09:02 Uhr
Vielen Dank für dieses wunderbare Interview - ich schätze Chrissie und ihren Stil sehr und freu mich jetzt richtig, dass ich noch ein bisschen mehr über sie weiß.
@Chrissie: bleib so wie Du bist, Du bist absolut klasse!
Alles Liebe von Rena
www.dressedwithsoul.com
am Dienstag, 07. Juni 2016 um 08:49 Uhr
am Montag, 06. Juni 2016 um 11:00 Uhr
Ach, die liebe Chrissie! Sie hat wirklich einen ganz eigenen Modestil, und darum beneide ich sie ein bisschen. Man kann ihn nicht wirklich beschreiben: Irgendetwas zwischen klassisch, überraschend, originell und crazy. Absolut faszinierend - und an ihr sieht das, was Sie kombiniert, immer gut aus! Mach bitte unbedingt weiter so!
Liebste Grüße,
Valérie
am Dienstag, 07. Juni 2016 um 08:46 Uhr
am Montag, 06. Juni 2016 um 13:50 Uhr
Huhu Chrissie,
schön, Dich hier bei Susi zu sehen. Du hast einen wirklich unverkennbaren Stil. Bei Dir lese ich immer gern.
Liebe Grüße Sabine
am Dienstag, 07. Juni 2016 um 08:44 Uhr
am Montag, 06. Juni 2016 um 18:38 Uhr
Eine Punk-Chrissie. Hätt ich irgendwie nie gedacht, spannend so Einblicke in andere modische Zeiten :)
Schönes Interview und eine wie immer super sympathische Chrissie.
Liebe Grüße Ela
am Dienstag, 07. Juni 2016 um 08:32 Uhr
am Dienstag, 07. Juni 2016 um 08:34 Uhr
Liebe Susi :)
auch an dieser Stelle noch einmal ganz lieben Dank, dass Du an mich gedacht hast bei dieser tollen Reihe und dass ich eine Deiner Interviewpartnerinnen sein durfte!
Danke :)
GLG aus der Edelfabrik
Chrissie
am Donnerstag, 09. Juni 2016 um 18:20 Uhr
Ich bin über die “Modeflüsterin” auf Chrissies Blog gestossen und schaue immer mal wieder rein. Wir sind genau gleich alt und ich mag ihren Stil total gerne. Bei den Jugendfotos musste ich schmunzeln - auf dem von ‘99 hätte ich dich nicht erkannt und ich finde dich heute, knapp 20 Jahre später, viel aufregender!
Liebe Grüsse
Diana
am Freitag, 10. Juni 2016 um 08:58 Uhr