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Frauen ab 50.

Das Montagsinterview mit Ulrike Zecher.

Manchmal denke ich, ich sollte ein Buch schreiben. Über Lebenswege. Irrungen und Wirrungen. Und das Erreichen von ganz persönlichen Zielen. Die Montagsinterviews sind ein wahrer Fundus für ein solches Buch.

Aktuelles Beispiel: Ulrike Zecher. Eigentlich wollte sie aus Liebe zu Goethe Deutschlehrerin werden. Dafür gab es damals aber zu wenig Stellen. Oder Gymnastiklehrerin. Dafür fehlte ihr mit Anfang 20 aber der Mut. Sodass sie dann erstmal eine Ausbildung zur Industriekauffrau absolvierte und im Anschluss BWL studierte.

Nach einigen Jahren als selbstständiger Business-Coach und Personaltrainer kam sie während eines Krankheitsfalls im engsten Familienkreis zum Schreiben: „Immer wenn ich am Boden zerstört war, habe ich mir ein Blatt Papier geschnappt und alles von der Seele geschrieben.“ Schnell kamen dann von Coaching-Kunden erste Textaufträge und die Frage nach Schreibcoaching. „Ich liebe es, wie eine Perlentaucherin nach den Talenten meiner Kunden zu tauchen und sie mit Worten und einer Webseite sichtbar zu machen“ – und so wurde aus Selbsthilfe durch Worte die Unterstützung anderer.

Ulrike Zecher, 51.

Achja, den Wunsch Gymnastiklehrerin zu werden hat sich Ulrike übrigens auch erfüllt: Sie arbeitet als Pilates-Trainerin und hat sich auf „Liebeskummer“-Pilates spezialisiert, bei dem spezielle Übungen beim Loslassen von Menschen, aber auch Dingen helfen … Wie spannend!

Aber nun zu unserem eigentlichen Thema ...

Wie würdest du deine Einstellung zu Mode bezeichnen oder beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?

Ich liebe Mode! Ich finde es herrlich, in einem Café zu sitzen und zu spüren, welche Looks gerade in der Luft liegen. Rechts den Espresso, mit der linken Hand schnell die GALA umblätternd, um die neusten Trends aufzusaugen. Trendscout, das wäre auch ein cooler Beruf für mich gewesen.

„Mode ist nichts, was nur in Kleidung existiert. Mode ist in der Luft, auf Straße, Mode hat etwas mit Ideen zu tun, mir der Art wie wir leben, mit dem, was passiert" sagte Coco Chanel. Wie recht sie hat! Kleidung ist eben nicht nur ein Stück Stoff, sondern auch ein wunderbarer Katalysator. um die gewünschten Gefühle zu beschleunigen. Du willst im grauen Business-Einheitsbrei im Mittelpunkt stehen? Dann wähle ein rotes Kleid! Oder brauchst du für ein wichtiges Gespräch eine „Ritterrüstung“? Dann zieh deine feinsten, gut sitzenden Lieblingsklamotten an. Du willst deine Schreibblockaden überwinden, dann höre nicht auf Karl Lagerfeld, sondern trage deine Joggingbüx oder Pyjama.

Modisch betrachtet war es in meinen 20er Jahren das größte Glück für mich, mit dem ersten Auto mit meiner jüngeren Schwester Remscheid zu verlassen, um in Essen im ersten H&M shoppen zu gehen. Zum Glück bin ich H&M mittlerweile entwachsen und kaufe heute gerne bei Cos ein.

2016.

Als Jugendlicher war meine Einstellung zur Mode vor allem durch die Musik geprägt. Bis auf Punk habe ich alles kleider- und frisurmäßig ausprobiert. Mit Pullunder und langer Haarsträhne war ich als Popper unterwegs. Als ich Depeche Mode und The Cure für mich entdeckte, kleidete ich mich als New Waver. Zwischendurch ein bisschen Ska, weil mein Freund Madness hörte. Und auf der neuen deutschen Welle bin ich natürlich auch gesurft. Hach, zu dieser Zeit trug ich sogar insgesamt vier Ohrringe. Revolution im Bergischen Land …

Und heute? Bei geschäftlichen Terminen bevorzuge ich einen puristischen skandinavischen Look. Zu privaten Anlässen lasse ich eher krachen und kleide mich extravagant. Zurzeit bin ich die Swing-und Lindy-Hop-Mode verliebt.

Was ist für dich Stil? Und was ist dein Stil? Hast du Vorbilder?

Stil allgemein bedeutet für mich, in jeder Situation dem Anlass entsprechend gut gekleidet zu sein. Stil verbinde ich diesem Sinne mit Etikette und Protokoll. Würde mich etwa Queen Elisabeth offiziell zu einer Tasse Earl Grey einladen, schriebe das Protokoll sicherlich vor, ob mein blaues schlichtes Lieblingskleid von Cos das Knie bedecken oder eine Saumlänge länger sein sollte. Welchen Schmuck dürfte ich anlegen? Wäre es zum Beispiel erlaubt, eine kleine Anstecknadel, die mich als Mitglied der Ballettfreunde e.V. auszeichnet, zu tragen? Natürlich würde ich mich in diesem Fall streng an das Protokoll halten. Aber vielleicht spielt das beim dritten Gin inoffiziell gar keine Rolle mehr ...

Meinen Stil bezeichne ich als extravagant, puristisch sowie sportlich. Als Coco-Chanel-Fan liebe ich schwarz, weiß und grau. Und ein tiefes Nacht-Blau. Ich trage kaum Schmuck und seit rund dreißig Jahren eine Kurzhaarfrisur. Meine Sachen dürfen angenehm auf der Haut liegen und mir Raum zum Durchatmen geben.

Ich mag Stilbrüche in der Kleidung. Auf den ersten Blick irritiere ich mein Gegenüber und auf den zweiten Blick denkt er: „Jo, wie das zusammenpasst. Hätte ich nicht gedacht.“ Meine Eltern haben mir vor drei Jahren auf Langeoog die schönsten Gummistiefel meines Lebens geschenkt. Blaue, geschnürte Gummistiefel von Ilse Jacobsen. „Gummistiefel sind auch neue Schuhe“, dachte ich mir und zog sie abends zu meinem Cos-Kleid im Restaurant an. „Jo, wie das zusammenpasst. Hätte ich nicht gedacht.“ Und nach dem Essen hätte ich darin mit der Queen auf die Jagd gehen können …

An anderen Tagen folge ich aber lieber meinem Vorbild Iris Apfel, die als Innendesignerin für neun Präsidenten im Weißen Haus gearbeitet hat und kurz vor ihrem 100. Geburtstag eine echte Stil-Ikone ist. Und wenn ich zwar nicht als Apfel, dafür aber als „Ulrike Kiwi“ unterwegs bin, verlasse ich die Coco-Chanel-Werkseinstellung, dann wird es bunt, zumindest rot. Ein rotes Teil und ein lustiges Ringel-T-Shirt für die lustigen Momente im Leben.

Hast du ein Lieblingskleidungsstück?

Meine Lieblingskleidungsstücke flüstern mir bereits beim Anziehen eine schöne Geschichte ins Ohr. Entweder erinnern sie mich an Glücksmomente in meinem Leben oder sie sind so vintage, das sie eine eigene gute Story haben. Ich trage quasi Content-Kleidung.

Die blauen Gummistiefel gehören definitiv dazu, die ich selbstredend in diesem Jahr während meiner ehrenamtlichen Auszeit #HandgegenKoje am Schiffsanleger der Hallig Hooge getragen habe. Auch mein roter „All-Weather-Traveler“, den ich mir vor Jahren auf dem Trödelmarkt gekauft habe. Bestimmt hat ihn die Groß-Groß-Groß-Großnichte von Jane Austen auf ihren Spaziergängen auf Long Island getragen, als es ein wenig tröpfelte. Und auf welchen Wegen ist er dann von Long Island auf den Düsseldorfer Trödelmarkt gekommen?

2013. (Foto: Kristina Malis; "Entschleunigung")

Damit in meinem Schrank immer nur Lieblingssachen hängen, miste ich zweimal im Jahr nach der „Magic-Cleaning-Methode“ der Japanerin Marie Kondo aus. Alle Sachen ausräumen, jedes Teil in die Hand nehmen und sich fragen „Macht mich das glücklich oder unglücklich?“ Ist schon klar, welche Sachen ich behalte und welche ich verschenke, oder?

Mit der Frage vermeide ich auch Spontan- oder Fehlkäufe. Mein Traum ist es, immer weniger Kleidungsstücke zu besitzen. Hose, Rock, Bluse in zweifacher Ausführung in einer zeitlosen Qualität und aufgrund der Farben (schwarz, weiß, grau) perfekt kombinierbar.

Wie hat sich deine Einstellung zu Schönheit und Aussehen in den letzten Jahren verändert? Inwieweit hat das Älterwerden damit zu tun?

Mit dem Älterwerden entdeckte ich viel mehr Schönheit als in jungen Jahren, weil der Blick auf sich selbst und auf andere weicher geworden ist. Ich schätze funkelnde Augen, ein strahlendes Lächeln und Menschen, die im Moment präsent sind. Hey, wenn wir dann gemeinsam über einen Witz lachen können, bin ich sehr glücklich …

Ich schaue gerne in Gesichter, die mir eine Geschichte erzählen, und unperfekt schön sind. Eine Zahnlücke, abstehende Ohren oder eine Narbe im Gesicht – wie wunderbar menschlich.

2010.

Die große Chance beim Älterwerden liegt darin, dass man andere so lassen kann, wie sie sind. Das gelingt nur, wenn wir uns selbst lieben.

Zur Kosmetik: Bist du eher der Wasser-und-Seife-Typ oder glaubst du an die Möglichkeiten moderner Produkte?

Eher der Wasser-und-Selfie-Typ. :) Nein, ich glaube – bis auf ein paar Ausnahmen – nicht an die Versprechungen der Kosmetikindustrie.

Ich setze eher auf das (weibliche) Bewusstsein.

Bei 60.000 Gedanken pro Tag ist es wichtig zu wissen, was ich konkret über mein Gesicht oder meinen Körper denke. Aus meinen Gedanken entstehen Handlungen: Bin ich fürsorglich zu meinem Körper, indem ich ihn mit gesundem Essen, sanfter Bewegung, Lachen, Ruhe, Streicheleinheiten und einer schönen Umgebung füttere? Ja, wenn ich jeden Tag gut zu mir selbst bin – ohne dem Optimierungswahn zu verfallen – kann die eine oder andere Creme sicherlich die Wirkung verstärken.

Du bist auf Reisen und hast deine Waschbeutel vergessen. Zahnpasta und Seife gibt es im Hotel. Auf welche drei (Kosmetik-)Produkte kannst du keinesfalls verzichten und kaufst sie sofort ein

1. Sonnencreme von Dermalogica
2. Wimperntusche
3. Körperöl von Rituals aus der Hammam Serie

Würdest du dich für die Schönheit unters Messer legen? Oder Botox, Filler etc. nutzen?

Nein. Ich möchte mich weiter sichtbar ärgern oder aufregen können, indem ich meine Stirn in Falten lege. Vielleicht gehöre ich zur letzten Spezies „Mensch mit Falten“ und meine Urenkel werden mich im Neandertal-Museum bestaunen.

2006.

Auf der Düsseldorfer Kö begegnen mir ab und zu Mutter und Tochter, die beide denselben Schönheitschirurgen konsultiert haben. Yeah, mit ihren Schlauchbootlippen könnte man abends fröhlich über den Rhein schippern.

Hast du ein Schönheitsgeheimnis?

Auf Platz eins meiner Hitliste steht ausreichend Schlaf sowie ein kurzer Mittagsschlaf von maximal 17 Minuten; danach ein starker Espresso und ein Stück Schokolade – und schon geht es beschwingt weiter.

Auf Platz zwei steht eine warme und vor allem im Winter eine erwärmende Mittagsmahlzeit.

Auf Platz drei steht der Lebensgenuss: Ich genieße das, was ich mir auf mein Tellerchen gelegt habe.

Auf Platz vier steht „Nie ohne mein Frühstück“. Du kannst mit mir um 4 Uhr morgens in den Urlaub fahren und wir würden nachts um drei erst einmal in Ruhe frühstücken …

1993.

Was ist für dich die größte Herausforderung am Älterwerden? Und die schönste Überraschung?

Die größte Chance am Älterwerden liegt darin, dass ich mutiger, radikaler und selbstbestimmter lebe! Ab und an tanze ich gerne in Clubs zu Electro-Musik. Meine erwachsene Tochter hat mir gezeigt, wie man dazu „shuffelt“. Wenn ich mich jetzt in meinem Kopf begrenzen würde „Die sind hier alle so alt wie meine Tochter. Die machen sich jetzt lustig über mich, wenn ich die Tanzfläche betrete.“ ... dann würde ich irgendwann nie nie mehr tanzen! Dieser Preis ist mir zu hoch. Man könnte auch sagen: Je älter ich werde, desto mehr wird es mir egal, was andere über mich denken. Daher bedeutet Älterwerden endlich zu dem stehen, was wir tun und lassen. Das nennt man auch Erwachsenwerden.

Gibt es ein Mantra, das dich durch dein Leben begleitet?

Der inneren Freude folgen – immer. Das ist der rote Faden in meinem Leben.

Danke, liebe Ulrike, für deine spannenden Antworten und tollen Fotos! Und den Hinweis auf Lindy Hop! Ich bin schockverliebt und will das jetzt auch lernen! :-D

***

Hier gibt es noch mehr spannende Interviews mit spannenden Frauen über 40, 50, 60 und über 70.

20122 4 Frauen ab 50., 50+ Lifestyle 17.10.2016   anti-aging, beauty, frauen ab 50, mode, montagsinterview, schönheit, ulrike zecher

4 Kommentare

Barbara
am Montag, 17. Oktober 2016 um 10:19 Uhr

So schön und klug. Nein: Klug und schön!

(((Ulrike)))

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Birgit
am Montag, 17. Oktober 2016 um 14:41 Uhr

Tolle Frau - tolles, inspirierendes Mantra - toll, dass es wieder Montagsinterviews gibt ! Danke, liebe Susi!
LG Birgit

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Susanne
am Montag, 17. Oktober 2016 um 17:56 Uhr

Imponierende Gedanken
Danke an Euch Beide
Susanne

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Dagmar
am Dienstag, 18. Oktober 2016 um 17:24 Uhr

Beeindruckendes Interview. Wow! Und diese rote Hose!
Noch besser: Das Mantra möchte ich gerne übernehmen; es hat gerade was bei mir bewegt. Denn heute muss ich eine wichtige Entscheidung fällen. Ich sitze vorm Rechner und lenke mich ab, weil Kopf und Bauch anderer Meinung sind. Ich drücke mich vor einer Entscheidung, prokrastiniere und surfe deshalb rum und finde dieses Interview, lese dieses schlaue Mantra - und mein Bauch gewinnt, denn da sitz diesmal mein innerer Frieden. Danke dafür.

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