Frauen ab 60
Das Montagsinterview mit Birgid Hanke.
Birgid Hanke. Sie ist einer meiner ältesten Netzwerk-Kolleginnnen. Seit es unser gemeinsames Netzwerk Texttreff gibt, gibt es auch sie in meinem Leben. Wobei wir beide zwar mit Sprache arbeiten, aber doch in ganz anderen Genres. Birgid ist Autorin und Schriftstellerin. Die Liste ihrer Veröffentlichungen ist ... beeindruckend lang. Und es ist alles dabei: vom Roman bis zur Unternehmensgeschichte, vom Kinderbuch bis zum Reiseführer. Sehr spannend! Was kein Wunder ist, denn Birgid ist eine spannende Frau: So hat sie – neben dem Schreiben – vor rund drei Jahren eine „Nanobühne“ ins Leben gerufen: ein winziges Kellertheater, auf dem schon Großartiges geboten wurden – von eigenen Lesungen über Konzerte von Singersongwritern oder experimenteller Musik bis zu russischer Theaterkunst. Seit Neuestem stellt Birgid diese Location auch jungen syrischen Flüchtlingen als Treffpunkt zur Verfügung.
Und dann ist da auch noch ihr Selbstverlag „edition linie“, den sie zeitgleich mit der Produktion eines Multiples über die bekannte Berliner Kostümbildnerin Ingrid Zoré gelauncht hat. Nur die Website ist gerade noch in der Mache ... ;-))
Eine Haltung zu Mode hat Birgid natürlich auch ...
Birgid Hanke, 64. (Foto: Marion Schmitz-Reiners, Antwerpen)
Wie würdest du deine Einstellung zu Mode bezeichnen oder beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?
Meine Einstellung zur Mode ist ist mittlerweile ausgesprochen entspannt. Verändert hat sie sich insofern, dass ich überhaupt nicht abhängig von ihr bin. Ich trage das, was mir gefällt, worin ich mich wohlfühle. Klamotten, von denen ich überzeugt bin, dass sie mir stehen – nicht weil dieses Styling gerade modern ist.
Am liebsten Ton in Ton. Bis hin zum Müllcontainer. ;-) (2015)
Abhängig bin ich jedoch von Farben. Die müssen einfach stimmen! Ton in Ton lautet die Devise. Das beginnt beim Schal und endet bei den Schuhen, meist Stiefeletten. Grün und braun gehören absolut nicht zu meinen Farben. Ich habe es neulich mit einem ganz warmen Nougat, ein ganz dunkles Braun, das an anderen Frauen fantastisch aussieht, versucht. Es geht nicht! Ich war den ganzen Tag unglücklich darin, habe mich unwohl gefühlt. Pulli und Hose sind längst ausrangiert.
Welche Stilrichtung bevorzugst du? Wie hat sich dein Geschmack im Laufe deines Lebens verändert? Was hast du in den 20ern/30ern/40ern getragen? Hattest du Vorbilder? Personen oder Persönlichkeiten, die deinen Stil geprägt haben?
Mein Stil ist eher lässig als hochelegant. Hätte ich das Geld, wäre ich eine gute Kundin diverser japanischer oder junger belgischer Designer. Nichts Verspieltes, kein Blingbling, keine Blusen. In eine Rüschchenbluse müsste ich hinein geprügelt werden. Und: Nichts, was zu bügeln ist, sondern sich von selbst entknittert und entfaltet. Ich trage viel und gerne schwarz, bin gerade dabei, mal wieder dunkelblau (hanseatisch) zu entdecken, liebe Grautöne und Naturweiß, stelle neuerdings eine leichte Tendenz zum „Rentnerbeige“ bei mir fest. Ist wohl altersbedingt.Meine beiden Töchter tragen genau die gleichen Farben wie ihre Mutter und bedienen sich gerne diverser Einzelstücke, Schals oder Blazer und Ähnlichem aus meinem Bestand. Da ich in den letzten Monaten einige Kilos abgeworfen habe, kann ich mich nunmehr revanchieren und marschiere dann auch mal in einem Chasuble meiner 18-jährigen los.
Mag es monochrom. (Foto: Nico Hinrichs, 2013)
Wenn jemand in unserer Familie Farbe bekennt, dann ist es meine fast 93-jährige Mutter mit ihren hellen Pastelltönen. So weit bin ich noch nicht. Sie fragt mich heute noch: „Was ist denn dieses Frühjahr Mode, was trägt man jetzt?“ Nur, dass ich ihr diese Frage nicht beantworten kann, weil es mich nicht interessiert.
Sich von modischen Entwicklungen und Beeinflussung völlig fernzuhalten, ist ausgeschlossen. Konsumverweigerung habe ich in meinen Zwanzigern während des Studiums in Marburg versucht. Im eng anliegenden, mit lila Zebrastreifen gemusterten Minikleid im damaligen Club Voltaire aufzutauchen, war ein Sakrileg. Ich wurde richtig angepöbelt und beleidigt, von wegen sich selbst darbietendendes Sexobjekt und so weiter. „Was soll aus dir nur werden?“ Ich nahm mir das so zu Herzen, dass es fortan nur noch Jeans mit Opas Streifenhemden und dazu eine Anzugsweste aus dem Secondhandladen gab. Und natürlich: Weg mit dem BH! Alternativ die langen Wallewallehippiekleider aus dem Indiashop, die gerade jetzt ein fulminantes Comeback feiern. Hätte ich sie doch mal alle aufgehoben.
Die Frau auf dem Kühlergrill! :-) (1971)
In meinen Dreißigern lebte ich in Hamburg, zeitweise sogar mit zwei BRIGITTE-Redakteurinnen in einer WG. Die eine edel edel, nur Seide, Satin und Spitzenröcken, alles cremefarben und altrosé, die andere in Jeans, Ringel-T-Shirt und Gesundheitstretern. Es war die Zeit der weiten Schlabberpullis, die wir abends beim gemeinsamen Sherrygenuss strickten, darunter auch regelrechte Zirkuszelte für unsere Kerle.
Mitte 30 entdeckte ich meine Weiblichkeit neu, trug enge kurze Röcke, dazu immer passende Westernstiefeletten, die stets farblich mit der Kleidung korrespondieren mussten, also türkis, weiß, pink – ja auch pink kam vor! – und die berüchtigten breiten, farblich immer passenden Gürtel. Nicht zu vergessen Schulterpolster!
Dann entdeckte ich in Hamburg an der Ecke Schlüterstraße/Hartungstraße eine junge Designerin, bei der ich sehr viel kaufte, auch noch, als ich längst nach Bremen gezogen und Mutter geworden war. Sie hatte tolle Schnitte, arbeitete viel mit Wickeltechnik, was für mich – mit viel Busen und Neigung zum Embonpoint (Anmerkung Texterella: Hahahaa!!! Den Ausdruck merke ich mir! Klingt viel hübscher als ... Übergewicht!) – sehr vorteilhaft ist. Leider hat sie schon sehr bald aufgehört, aber ihre Kleider habe ich bis heute aufgehoben. Vor ein paar Jahren trug meine Tochter eins davon zur Konfirmation ihrer Cousine, und alle fragten, woher sie dieses todschicke Teil denn habe. Nur: Was bei mir bis über die Knie reichte, war bei ihr ein Supermini!
Hippielook der Siebziger! (1979)
In meinen Vierzigern war ich zum einem mit Brutpflege und zum anderen mit Bücherschreiben beschäftigt. Es musste bequem sein, und bei besonderen Anlässen griff ich auf meinen Fundus zurück.
Gerade gestern habe ich unten aus dem Kellerkleiderschrank die Kleider der Hamburger Designerin entdeckt und anprobiert. Sie passen mir WIEDER! Sind immer noch modisch, schick und hängen WIEDER in meinem regulären Schrank. Und ich werde sie selbstverständlich wieder tragen.
Das große Mode-Idol meiner frühen Jugendzeit war Twiggy. Schon damals konnten die Mädchen nicht dünn genug sein. Ich hatte das Pech, nicht knochig und staksig zu sein, sondern Rundungen genau an den Stellen zu haben, wo sie hingehörten. Das galt aber auch damals schon als zu dick. Dies begleitete mich mein Leben lang, auch als ich zeitweilig Konfektionsgröße 34/36 trug. In Größe 42 bin ich eigentlich nur zähneknirschend angekommen. Und in 44 bis heute nicht nicht!!! Mit der Größenbezeichnung „XL“ kann ich viel besser leben, das ist nicht so muttihaft.
Zum Thema Vorbild ... mmmmh, fällt mir spontan niemand ein. Meine Mutter war sehr modebewusst, die Generation Pumps und Chanelkostüm, in dem sie mich zu gerne auch einmal gesehen hätte. Ihre Mode war nicht meine Mode, aber beeinflusst hat sie mich wohl dahingehend, stets auf ein gepflegtes Erscheinungsbild zu achten. Wenn frau das Haus verlässt! Zuhause schlumpfe ich seeeehr gerne herum!
Hast ein Lieblingskleidungsstück?
Ja, ich habe ein Lieblingsteil, das mich seit bestimmt fünf bis sechs Jahren getreulich begleitet. Es ist ein schwarzer Schlauch aus einem dehnbahren T-shirt-Material, etwa knielang, kann über Jeans, engen Hosen oder auch mal gemusterten Leggings getragen werden. Im Hochsommer ohne T-shirt als Strandkleid, im Winter mit langärmeligen T-Shirt und dickem Schal warm, mit Edelschal und dezentem Glitzershirt für offizielle Ereignisse kompatibel. Leichte Raffung verbirgt unerwünschte Polster. Das Teil ist einfach absolut bequem, engt nicht ein, ist neutral, dennoch zeitlos schick (finde ich, andere aber auch). Ich fühle mich drin wohl und angezogen.
Bei einer Lesung aus ihrem Roman "Flamme der Freiheit". (2014)
Wie hat sich deine Einstellung zu Schönheit und Aussehen in den letzten Jahren verändert? Inwieweit hat das Älterwerden damit zu tun?
Habe ich früher das Haus nicht verlassen ohne Wimperntusche und Lidschatten, tue ich es jetzt nicht ohne Lippenstift. Vielleicht würde ich noch Augen-Makeup auflegen, wenn ich a) keine Brille tragen wurde b) keine Schlupflider hätte :-(Schminkorgien überlasse ich mittlerweile aber der jüngeren Generation.
Zur Kosmetik: Bist du eher der Wasser-und-Seife-Typ oder glaubst du an die Möglichkeiten moderner Produkte?
Eher Wasser -und Seife-Typ. Ich glaube an eine regelmäßige Pflege, aber nicht an die vollmundigen Versprechungen der Kosmetikindustrie. Komischerweise vertrage ich die ganz teuren Präparate auch überhaupt nicht. Meine Haut ist absolut glücklich mit den hauseigenen Produkten einer großen Drogeriekette.Du bist auf Reisen und hast deine Waschbeutel vergessen. Zahnpasta und Seife gibt es im Hotel. Auf welche drei (Kosmetik-)Produkte kannst du keinesfalls verzichten und kaufst sie sofort ein?
Shampoo, guten Schaumfestiger, Nivea-Creme. Und Oropax!
Das Nordlicht. (2014)
Würdest du dich für die Schönheit unters Messer legen? Oder Botox, Filler etc. nutzen?
Nein!Hast du ein Schönheitsgeheimnis?
Nein.Was ist für dich die größte Herausforderung am Älterwerden? Und die schönste Überraschung?
Die größte Herausforderung ist es, dem Abnehmen meiner Beweglichkeit Einhalt zu gebieten. Das tue ich durch regelmäßiges Aqua- und Krafttraining sowie Fahrradfahren. Und ebenso beweglich will ich natürlich auch geistig bleiben.
Statt Ford Capri! ;-) (2015)
Die schönste Überraschung: Das innere Ich bleibt ewig jung!
Gibt es ein Mantra, das dich durch dein Leben begleitet?
„Aus den Steinen, die dir in den Weg gelegt werden, kannst du auch etwas Schönes bauen.“Eine Nachbarin hat mir in einer großen Lebenskrise eine Postkarte mit diesem Spruch geschenkt. Er begleitet mich inzwischen fast 20 Jahre und hat mir, wenn alles über mir zusammen zu schlagen oder unter mir zusammen zu brechen drohte, immer weitergeholfen.
Ich habe dann eine Variante für meine jüngere Tochter entwickelt: „Heulen ist erlaubt. Wenn fertig, Tränen trocknen, Nase putzen, nachdenken, was kann ICH ändern?“
Diese „light version“ bewährt sich auch bei mir.
Danke, liebe Birgid, für dieses wirklich zauberhafte Interview! Du auf dem Kühler eines Ford Capri – das ist wirklich ein besonderer Abschluss der diesjährigen Montagsinterview-Saison :-) (mit der es dann im Herbst weitergeht)!
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1 Kommentar
am Montag, 04. Juli 2016 um 11:11 Uhr
Liebe Susanne, das Interview mit Birgid habe ich mit großer Freude gelesen. Es zeigt mir (als 50-Jährige), wie agil und gleichzeitg lässig in der Lebenseinstellung man mit Ü60 sein kann. Und Birgit sieht auch fantastisch aus.
Ich hoffe und arbeite daran, dass mir die Ideen und die Kreativität sowohl für das Innere als auch das Äußere (gehört ja auch irgendwie zusammen) nie ausgehen. Frauen wie Birgid sind da ein echtes Vorbild.
Klasse! Liebe Grüße und einen schönen Sommer wünscht Simone aus Bonn :-)