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Über Schönheitsideale und Selbstfürsorge: Warum wir Frauen 50plus neue Vorbilder brauchen.

Eigentlich hatte ich für diesen Sonntag einen anderen Beitrag geplant: die Antworten auf eure Modefragen. Aber manchmal – wie heißt es so passend? – kommt das Leben dazwischen, diesmal in Form des Foto-Workshops „Unfotogen? Gibt’s nicht!“, den Martina und ich am letzten Dienstag und Mittwoch in Nürnberg gegeben haben. Sieben Frauen (eine war leider verhindert) waren aus Nah und Fern angereist, und mit ihnen ihre Lebenserfahrung aus fünf, sechs oder sieben Jahrzehnten. Es wurde viel gequasselt, sich ausgetauscht, Neues ausprobiert, es wurde gelacht und geweint. Es waren zwei intensive, kreative, berührende und erkenntnisreiche Tage – nicht nur für die Teilnehmerinnen, sondern auch für Martina und mich. 

Manche dieser Erkenntnisse haben mich betroffen gemacht. Auch deshalb, weil mir ein Spiegel vorgehalten wurde. Und ich bin erstaunt, wie sehr mich dieser Workshop und die Dynamik, die zwischen Make-up, Kleiderwahl und dem Shooting entstand, beschäftigt und welche (gesellschaftspolitischen) Fragen er bei mir ausgelöst hat.

 

Wo und wer sind unsere Vorbilder?

Diese Frage stellte eine der Teilnehmerinnen gleich als erstes bei der kurzen Vorstellungsrunde in den Raum. Und tatsächlich: Für uns „Boomerinnen“ (und älter) ist es gar nicht so einfach, Frauen zu finden, an denen man sich orientieren kann, zumal solche, die noch älter sind als man selbst. Seien wir ehrlich: Da gibt es kaum jemanden. Wer von uns hat zum Beispiel mit seiner Mutter jemals übers Älterwerden gesprochen, über den Wechsel vom Arbeitsleben in den Ruhestand und was dann kommt, die Wechseljahre, den Verlust von Attraktivität, das schleichende Unsichtbarwerden oder darüber, mit 50plus noch mal etwas ganz Neues zu beginnen? Ich vermute, es sind nur wenige. Und auch außerhalb der eigenen Verwandtschaft ist es schwer, jemanden zu finden, der uns gutes Älterwerden vorlebt. Es mag Frauen des öffentlichen Lebens (Wissenschaftlerinnen? Künstlerinnen? Politikerinnen?) geben, die dazu taugen, aber es sind nur wenige – und gerade im Moment fällt mir tatsächlich gar keine ein.

So müssen wir also wohl selbst Vorbild füreinander sein und uns gegenseitig unterstützen. Wir müssen uns Plattformen bzw. Möglichkeiten schaffen für den Austausch über die Themen, die uns beschäftigen. Tatsächlich war und ist genau das meine Hauptmotivation für mein Texterella-Blog und ebenso für meine Bücher. Speziell im Glücksbuch „Auf das Leben!“ habe ich Frauen porträtiert, an denen wir uns orientieren können.  

Was ich ebenso wichtig finde: unseren Töchtern Vorbild zu sein. Ihnen vorzuleben, wie gutes und erfülltes Älterwerden geht und dass wir das Alter nicht fürchten müssen, sondern dankbar sein dürfen für jede weitere Kerze auf unserem Geburtstagskuchen.  

 

Warum ordnen wir uns dem aktuellen Schönheitsideal unter?

Graue Haare, Falten, Hängebäckchen, das liebe Hüftgold sind wohl der optische Inbegriff des Älterwerdens und seiner ästhetischen „Kollateralschäden“. Aber wer definiert überhaupt Schönheit? Blickt man zurück in die Kulturgeschichte der Menschheit, dann sind Schönheitsideale durchaus wandelbar: In der Renaissance galten füllige Frauen als schön (und wurden von Rubens auf Leinwand gebannt), blasse Haut war ein Statussymbol und es gab sogar Epochen, in denen schmale Lippen angesagt waren. 

Die noch viel wichtigere Frage ist aber: Warum machen wir Frauen bei dem Wettbewerb um die ewige Jugend überhaupt mit? Warum cremen und pflegen und sporteln wir geradezu verbissen an gegen die Zeichen der Zeit? Warum lassen wir uns Botox und Filler injizieren, färben uns die Haare, legen uns für straffe Haut sogar unters Messer – und geben für all das noch unendlich viel Geld aus? Ich nehme mich da übrigens keineswegs aus (und kann mich selbst nicht verstehen, während ich diese Zeilen schreibe).

Denn zusammen hätten wir durchaus die Macht, etwas zu verändern, schließlich gehören wir Frauen über 50 zu den geburtenstärksten Jahrgängen. In Deutschland waren im Jahr 2024 rund 20 Millionen Frauen über 50, das ist fast ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung. Warum nutzen wir diese Stärke nicht, um Einfluss zu nehmen? Warum definieren wir Schönheit nicht neu – als Gesichter und Körper, denen man das gelebte Leben ansieht? Zumal Männer uns das ja durchaus vormachen: Die meisten finden sich in fortgeschrittenen Jahren auch mit wenig Haaren und Bauchansatz durchaus immer noch attraktiv, während wir Frauen – selbst die schönsten und erfolgreichsten – ständig mit uns hadern. 

Genau daraus ist übrigens die Idee zu unserem Foto-Workshop entstanden: Wir wollen Frauen zeigen, wie schön sie sind – samt ihrer Falten, Pfunde und grauen Haare.

 

Warum nehmen wir uns selbst nicht wichtiger?

Wir schreiben das Jahr 2025 – und doch ist es immer noch so, dass wir Frauen uns unterordnen. Und damit meine ich nicht nur den patriarchalen Strukturen, die es immer noch gibt (und die womöglich sogar stärker werden). 

Anderes und andere scheinen immer wichtiger zu sein als wir selbst: erst die kleinen Kinder, dann die alternden Eltern, irgendwann womöglich die Enkelkinder. Der Gatte. Der Elternbeirat, Kirchenchor und Kleiderkammer (während die Männer natürlich in den relevanten politischen Gremien sitzen). Haushalt, Garten, überhaupt die Organisation des Alltags. Früher bastelten wir Martinslaternen, jetzt Adventskränze und Gestecke für den Weihnachtsmarkt. Aber wo bleiben wir, mit unseren eigenen Wünschen, Träumen, Plänen? Wann denken wir an uns selbst und an das, was wir noch im Leben vorhaben? Wann nehmen wir uns selbst endlich wichtig? Hey, wir haben doch nur dieses eine Leben.

Bitte nicht missverstehen: Dies soll kein Plädoyer für Egoismus sein. Aber ich bin durchaus dafür, sich selbst, die eigenen Bedürfnisse und das, was uns guttut, ernst zu nehmen. Weil wir es verdient haben – eben, weil wir unser Leben über viele Jahre und Jahrzehnte in den Dienst anderer gestellt haben. Jetzt ist unsere Zeit gekommen, wir dürfen auch mal „nein!“ zu den Anliegen anderer und „ja!“ zu unseren eigenen Wünschen und Träumen sagen. Für manche der Teilnehmerinnen war der Foto-Workshop tatsächlich ein erster Schritt in diese Richtung: ja sagen zu den eigenen Bedürfnissen, sich Zeit nehmen und sich einen Tag nur um sich selbst kümmern. Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass unser Workshop-Tag nur ein erster, kleiner Schritt ist, auf den viele weitere folgen.

Warum sind wir so streng mit uns?

Warum ist es für viele Frauen so schwer, sich selbst zu genügen? Warum haben wir das Gefühl, nicht gut oder schön genug zu sein und immer noch mehr an uns arbeiten und uns „optimieren“ zu müssen? Ist es Erziehung, die (sozialen) Medien, die unterschwelligen Erwartungen unserer Umwelt? Warum befinden wir Frauen uns in einem ständigen Konkurrenzkampf – mit uns selbst, aber ebenso mit anderen Frauen? Warum sind wir nie (oder zumindest sehr selten) zufrieden – ob nun in Sachen Aussehen, Haushalt und vielen anderen Aspekten unseres Lebens.

Ich weiß es nicht. Aber vielleicht hilft es schon mal, sich bewusst zu machen, wie sehr Selbstbild und Fremdbild oft auseinanderklaffen. 

Nur damit kein falscher Eindruck entsteht:

Unser Workshop ist weder Therapiestunde noch eine feministische Gesprächsrunde. Aber schon am ersten Workshop-Tag im letzten Januar wurde uns, Martina und mir, durch die Gespräche mit den Teilnehmerinnen klar: Es geht um viel mehr als „nur“ um schöne Fotos. Es geht darum, Frauen zu unterstützen, sie zu bestärken und ihnen quasi schwarz auf weiß zu zeigen: Du bist gut und schön, genauso wie du bist. In jeder Kleidergröße, in jedem Alter. Wir müssen uns nicht beweisen. Wir dürfen einfach „sein“, das ist völlig ausreichend.

Puh, was für ein langer Text das geworden ist – dabei wollte ich nur kurz ein paar Gedanken für dich notieren … Nun interessiert mich natürlich aber auch deine Meinung zu diesem umfassenden Themenkomplex. Verrätst du sie mir?

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Fotos: Martina Klein, Berlin

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Wer die Mode in diesem Beitrag vermisst, der findet wie immer hier und auf LTK Inspirationen. Dort poste ich auch immer wieder meine Modecollagen (das Erstellen ist für mich ein bisschen wie Yoga – sehr entspannend!)

PS: Habe ich dir eigentlich schon Fab50, das Online-Magazin 50plus vorgestellt? Nein? Ja? Egal. Bitteschön, hier entlang!

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2954 13 Texterella persönlich., 50+ Lifestyle 16.11.2025   älterwerden, schönheitsideale, texterella persönlich, unfotogen gibt's nicht

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