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Frauen ab 40.

Das Montagsinterview mit Steph Kotalla.

Steph Kotalla kenne ich virtuell schon ein oder zwei Jahre. Irgendwann war mir ihr Blog „Miss Kittenheel“ aufgefallen, weil der Stil – vor allen Dingen auch für Plussize – so ungewöhnlich war. Nichts, was ich selber tragen würde (oder höchstens in kleinen Dosen), aber wir teilten dieselbe modische Grundhaltung: farbenfroh, besonders und eher auffällig – trotz unserer Pfunde.

Richtig kennengelernt haben wir uns dann auf den Plussize Fashion Days im Oktober 2016 in Hamburg. Wie immer fand ich es besonders spannend zu erfahren, was Modeblogggerinnen machen, wenn sie nicht gerade über Mode bloggen. In Stephs Fall: Sie arbeitet als Landschaftsarchitektin und ist darüber hinaus Ratsfrau bzw. Stadträtin der Stadt Bochum. Cool!

Steph Kotalla - Miss Kittenheel

Steph Kotalla, 43.

In der Vorbereitung zu diesem Interview habe ich mich noch mal durch ihren Blog gescrollt – und war ein weiteres Mal begeistert, über die liebevolle Art, mit der Steph ihren Stil inszeniert. Das ist wirklich einmalig und sehr sehenswert. „Mit dem Bloggen habe ich angefangen, weil ich was ganz Eigenes wollte. Bei meinem Blog stimme ich alles nur mit mir selber ab. Die Freiheit habe ich weder im Job noch in der Politik.“ Das war definitiv eine gute Idee, liebe Steph!

Wie würdest du deine Einstellung zu Mode beschreiben? Hat sie sich im Laufe deines Lebens verändert?

Mode soll für mich Spaß machen. Sie erlaubt es uns, mit verschiedenen Rollen zu spielen. Sie kann als Tarnkappe dienen, aber auch Alleinstellungsmerkmal sein. Das hängt sehr vom Kontext ab. Ich mag es aufzufallen. Eigentlich ein wenig unerhört, denn die gute Dicke macht so etwas nicht. Dicke Frauen, vor allem von meinem Format (also nicht gerade im unteren Plussize-Bereich) sollen zurückhaltender sein. Pffffft! Warum? Ich kann es sowieso nicht allen recht machen. Also fange ich bei mir an.

Mittlerweile fällt es mir immer schwerer, der Welt in Jeans und T-Shirt entgegen zu treten, weil es da draußen so unheimlich spannende Sachen für mich gibt. Wahrscheinlich würden meinem Mittzwanziger-Ich die Augen übergehen, wenn es mich heute sehen würde. Damals musste alles "kaschieren". Taillenkurze Oberteile? Kleider, und dann auch noch figurbetont? Niemals! Erst ab dreißig wurde ich entspannter.

In meinen Dreißigern habe ich einige Jahre in Manchester gelebt. Anscheinend bin ich modisch nie ganz nach Deutschland zurückgekehrt. Und auf einmal, wenn auch zunächst nur vereinzelt, gab es die Pin-up- und Retrokleider, die ich aus meiner Zeit in Manchester kannte, online auch in meiner Größe zu kaufen.

Mit den Petticoats habe ich übrigens wegen des Fahrrads angefangen. Seit zwei Jahren pendle ich zur Arbeit oft mit dem Rad. Da mussten weitere Röcke her. Und die, fand ich, sahen einfach schöner mit einem Petticoat aus. Mittlerweile trage ich die ganz selbstverständlich. Aber nicht zwangsläufig mit Polkadots. Und über den Saum dürfen sie auch nicht hinausragen.

Was ist für dich Stil? Und was ist dein Stil? Wie hat sich dein Geschmack im Laufe deines Lebens verändert?

Ich unterscheide zwischen Stil und Style.

Stil hat für mich immer auch mit Klasse zu tun. Stil ist mehr als Kleidung. Stil erfordert Haltung und auch entsprechendes Benehmen. Style hingegen ist für mich mehr eine Stilrichtung. Grundsätzlich mag ich es, wenn Menschen einen eigenen Look haben. Ich muss nicht gut finden, was andere tragen. Wichtig ist, dass er zu ihnen passt. Teil ihres Lebens ist.

2016.

Ich mag die Mode der 1950er Jahre sehr gerne. Allerdings nicht eins zu eins. Ich mag Brüche. Bei Materialien, bei Mustern. Vintage „with a Twist“, mit einem Augenzwinkern. Ein bisschen das, was wir Deutsche als „britisch“ empfinden. Ein bisschen Sekretärin. Ein bisschen Bibliothekarin. Ein bisschen Künstlerin. Immer eigen. Mehr Sweetheart als Vamp. Trotzdem definitiv Feministin.

Retro mochte ich immer schon. Der Look der 50s kam erst später. Mit 16/17 trug ich einen Dandystil – Bilder gibt es davon leider keine mehr. Fast jeden Tag Weste, Taschenuhr, Krawatte. Ich kann immer noch eine Fliege selber binden.

Etwa in dem Alter habe ich zugenommen. Und dann wieder etwas abgenommen. Und dann wieder etwas mehr zugenommen. Und dann wieder ... Irgendwann mit knapp 30 kam dann die Erkenntnis, das wird nix mehr. Keine „gute Fee“ würde mich schlanker machen. Daraufhin wurde ich entspannter.

Ganz langsam hat sich mein Stil gewandelt. Ich habe mir angesehen, was zu meinem Figurtyp passt. Den Pin-up-Stil fand ich schon immer spannend. Und von halbwegs "normal" mit Wickelblusen und knielangen Röcken zu etwas Retro und dann zu „Vintage mit Augenzwinkern“ war auch nicht so weit. Ich musste nur ein bisschen Courage entwickeln und positives Körpergefühl sammeln, um das zu tragen, was mir so gut gefiel und, wie ich finde, auch gut steht.

Hast du ein Lieblingskleidungsstück?

Klar – sogar mehrere: zum einen den englischen Tweedblazer auf dem Foto mit Fahrrad und Fahrradkleid. Ich habe lange gesucht, bis wir uns gefunden haben.

2016.

Dann das Kimonokleid (von Anna Scholz). Es ist sehr vielseitig und ich fühle mich damit immer top angezogen. In Berlin bei der Fashion Week im Januar 2016 ebenso wie beim Deutschen Städtetag in Aachen.

Relativ neu sind meine Schnürstiefel, die ich auf dem Foto am Meer und in den Dünen auf Borkum trage.

Wie hat sich deine Einstellung zu Schönheit und Aussehen in den letzten Jahren verändert? Inwieweit hat das Älterwerden damit zu tun?

Ich werde mit jedem Jahr entspannter. Allen kann man es eh nicht recht machen. Also lebe ich so, wie ich es mag. Vor Jahren hat mich eine Dokumentation über Jane Elliot (Blue Eyed) sehr beeindruckt. In ihren Workshops gegen Rassismus hat sie Frauen auch ermahnt, sich nicht auf ihr Äußeres zu verlassen. "Get competent!" Denn es gäbe immer jemanden, der jünger und attraktiver sei.

Kurioserweise werde ich von Männern, seitdem ich vierzig bin, viel mehr wahrgenommen. Liegt wahrscheinlich an einem Mix aus meinem Kleidungsstil und der Ausstrahlung, denn ich fühle mich sehr wohl in meiner Haut.

Zur Kosmetik: Bist du eher der Wasser-und-Seife-Typ oder glaubst du an die Möglichkeiten moderner Produkte?

Puh, da bin ich immer etwas hin- und hergerissen. Klar gibt es tolle Produkte, aber vieles findet auch im Kopf statt. Bei den meisten Cremes sehe ich keine signifikanten Unterschiede an mir.

2015.

Du bist auf Reisen und hast deine Waschbeutel vergessen. Zahnpasta und Seife gibt es im Hotel. Auf welche drei (Kosmetik-)Produkte kannst du keinesfalls verzichten und kaufst sie sofort ein?

Deo, Trockenshampoo und Niveacreme.

Würdest du dich für die Schönheit unters Messer legen? Oder Botox, Filler etc. nutzen?

Eher nicht – allerdings sollte man niemals nie sagen. Krampfadern würde ich wegmachen lassen. Botox ist nicht so meins, ich finde die erstarrten Gesichter bei Oscarverleihung und Co. schon gruselig. Da sieht man Menschen, denen vor Rührung die Stimme wegbricht, die aber keine Regung in der Mimik zeigen (können).

Hast du ein Schönheitsgeheimnis?

Was ich sehr liebe ist ein Vollbad mit Milch, Honig und ätherischen Ölen. Ansonsten bin ich recht pflegeleicht.

Was ist für dich die größte Herausforderung am Älterwerden? Und die schönste Überraschung?

Auch wenn ich einerseits immer gelassener werde, habe ich für anderes immer weniger Geduld und finde für manches immer weniger Entschuldigungen: Rassismus, Imponiergehabe, aber auch wenn Menschen für sich Toleranz einfordern, diese aber selber nicht leben.

2005.

Und die schönste Überraschung: Ich habe als Teenager und in meinen frühen Zwanzigern befürchtet, mein Leben wäre später mal – also jetzt – unheimlich langweilig und geregelt. Fehlanzeige! Stattdessen bin ich jetzt die verrückte Patentante. Ich vermute, es bleibt spannend.

Gibt es ein Mantra, das dich durch dein Leben begleitet?

Leben und leben lassen. Ursprünglich komme ich ja aus Köln und bin mit dem Spruch "Jede Jeck is anders" groß geworden. Der meint im Grunde dasselbe.

Danke, liebe Steph, fürs Dabeisein, deine Offenheit und deinen tollen Stil! :-)

***

Hier gibt es noch mehr spannende Interviews mit spannenden Frauen über 40, 50, 60 und über 70.

5951 7 Frauen ab 40., 50+ Lifestyle 05.12.2016   älterwerden, frauen ab 40, interview, mode, montagsinterview, schönheit, steph kotalla

7 Kommentare

Sonja Schiff
am Montag, 05. Dezember 2016 um 09:23 Uhr

So herzerfrischend und sympathisch!! Sofort den Blog abgespeichert und mit mir verlinkt!

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Una
am Montag, 05. Dezember 2016 um 13:09 Uhr

Sehr schönes und interessantes Interview mit einer Frau, die ich persönlich sehr schätze und mit der ich den Vintage with a twist Stil teile.
Rock on Steph :)

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Sarah
am Montag, 05. Dezember 2016 um 13:43 Uhr

Schönes Interview :) Die liebe Steph, ihren Stil und ihren Blog finde ich auch ganz toll :)

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Julia
am Montag, 05. Dezember 2016 um 18:23 Uhr

Liebe Susie, liebe Steph,
danke für dieses wunderbare Interview und den tollen Blog-Tipp. Ich bin begeistert von dem Winter-Wonderland-Kleid! Das Fahrradkleid ist natürlich auch super. Wie großartig das ist, dass man zu jedem Anlass das passende Kleid tragen kann!
Viele Grüße,
Julia

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Susi
am Dienstag, 06. Dezember 2016 um 06:55 Uhr
Das Winter-Wonderland-Kleid ist wirklich großartigst! Im Nachhinein frage ich mich, warum ich nicht das als Einstiegsbild genommen habe ... dooof! :-)

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Farbenfreundin
am Dienstag, 06. Dezember 2016 um 08:40 Uhr

Wieder einmal ein sehr interessantes Portrait. Zugegeben, ich hatte noch nie einen Petticoat an… vielleicht sollte ich das auch mal ausprobieren. Nur mal so…

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Steph von Miss Kittenheel
am Mittwoch, 07. Dezember 2016 um 00:58 Uhr

Wow - ich bin noch ganz aufgeregt wegen des tollen Interviews und auch wegen der vielen Zugriffe auf meinen Blog und die Rückmeldungen hier. Ganz grossartig.
Liebe Grüsse aus Bochum
Steph

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